Achtsam bleiben, wo Menschen missachtet werden

Gebet und Gedenken an jüdischer Taharahalle in Bad Ems: Erinnern und dem Frieden dienen

 BAD EMS/RHEIN-LAHN. (12. November 2019) Dekanin Renate Weigel entzündete eine Kerze und legte einen Stein daneben als Symbol, dass die Bad Emser jüdischen Glaubens, die Opfer des Holocaust wurden, nicht vergessen sind. So begann das „Gebet und Gedenken“, mit dem in diesem Jahr an der Taharahalle auf dem Bad Emser Friedhof an den Beginn der Juden-Pogrome 1938 erinnert wurde.

„Wir haben Menschen missachtet, wir haben Leben zerstört, wir haben die getötet, die Gott liebt, wir haben Gott verraten“, sagte die Theologin vor rund 100 Besuchern aller Generationen, die zu der vom evangelischen Dekanat Nassauer Land organisierten Gedenkveranstaltung gekommen waren. Im Mittelpunkt stand die Erinnerung an die Geschehnisse des 10. November 1938, als in Bad Ems – am Geburtstag von Martin Luther – die Häuser jüdischer Familien gestürmt und alles darin zerschlagen wurde wie auch das Altenheim, die Synagoge einschließlich der Thorarolle.

Welch unsägliches persönliches Leid die nationalsozialistischen Exzesse sowie die Deportation der Bad Emser Mitbürger auslösten, daran erinnerten Schülerinnen des Goethe-Gymnasiums, die sich ganz konkret mit dem jüdischen Leben in der Kurstadt und den Schicksalen der in nächster Nachbarschaft Verfolgten auseinandergesetzt haben. Für ihre Forschung erhielten sie mit ihrer Lehrerin Elisabeth Knopp Ende Oktober im jüdischen Museum in Berlin den Rolf-Joseph-Preis. Er erinnert an den Holocaust-Überlebenden und zeichnet das Engagement an Schulen wider das Vergessen aus, was jüdischen Bürgern angetan wurde. Die von den Schülerinnen für die Gedenkfeier in Bad Ems ausgewählten Beispiele zeigten, wie damals Nachbarn, Freunde, Geschäftsinhaber wie die Familie Bernstein und politisch angesehene Menschen wie der Stadtverordnete Emil Königsberger mit einem Mal grundlos Feindschaft, Hass und Gewalt entgegenschlugen. Die Jugendlichen erinnerten an Suizide, zerstörte Familien, Folter und die Ermordung in Konzentrationslagern. Anschließend verlasen Schülerinnen der Realschule plus Bad Ems-Nassau Namen der Menschen jüdischen Glaubens, die 1938 in Bad Ems lebten, deren damaliges Alter, wohin sie deportiert wurden und wie sie starben, Menschen vom Kind bis ins hohe Alter.

Dass so viele junge Personen an der Gedenkveranstaltung teilnahmen und an Schulen über die Geschehnisse unterrichtet wird, um dem Antisemitismus zu begegnen, dafür dankte Natalie Quirmbach von der jüdischen Kultusgemeinde Koblenz, denn leider sei es in Deutschland schon wieder soweit, dass jüdische Eirichtungen ohne Polizeischutz nicht ganz normal leben könnten. „So etwas darf es nie wieder geben wie diese Schreckensherrschaft“, so Quirmbach. Dekanin Weigel mahnte, wenn Menschen Hilfe brauchen, auch heute nicht zum „Bystander“ und „Onlooker“ zu werden, mit denen das Englische untätige Zuschauer und Mitläufer bezeichnet. Vielmehr sei „Mensch sein“ gefragt für andere Menschen in der Nähe wie der Ferne, „mit denen, die wir verstehen und denen, die wir nicht verstehen“. In einem Gebet bat sie um ein offenes, achtsames und mutiges Herz, um Respekt im Miteinander, das dem Frieden dient.

Ein Chor unter Leitung des Lahnsteiner Musikers Jochen Liefke mit Sängerinnen und Sängern aus der ganzen Region umrahmte mit jüdischen Liedern die Gedenkfeier, die etwa von der Suche nach Hilfe und der Bitte um Frieden handelten. Ins letzte Lied stimmten auch die Anwesenden ein: „Hinneh ma tow“, was so viel bedeutet wie „Wie gut und wie mild ist es, wenn Geschwister miteinander wohnen.“ Bernd-Christoph Matern 

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Im diesjährigen „Gebet und Gedenken“ an der jüdischen Taharahalle auf dem Bad Emser Friedhof wurde sowohl des offenen Ausbruchs der Judenpogrome in der Kurstadt 1938 gedacht als auch mehr Achtsamkeit und Respekt im Umgang von Menschen angemahnt. Fotos: Bernd-Christoph Matern