Erinnerung an Gewalt gegen Juden warnt vor zunehmenden Hass

Mahnwache in Miehlen rückt auch ehemaligen Pfarrer von Lengerke ins Gedächtnis und Hilfe aus der Nachbarschaft

 MIEHLEN/RHEIN-LAHN. (15. November 2019) Mit einer Mahnwache auf dem Marktplatz wurde in Miehlen der Gewalt gegen die Mitbürger jüdischen Glaubens in der Pogromnacht am 9. November 1938 gedacht. Diesmal rückten die Veranstalter der evangelischen Kirchengemeinde Miehlen und der katholischen Gemeinde St. Peter und Paul Nastätten zudem den ehemaligen Miehlener Pfarrer Hans von Lengerke in den Focus der Gedenkfeier und wie er als Sohn einer jüdischen Mutter dem Holocaust entkam.

Kerzen wurden für die 27 nach der Pogromnacht vertriebenen Miehlener jüdischen Glaubens angezündet und deren Namen verlesen. Gebete und Gesang in deutscher und hebräischer Sprache bildeten den geistlichen Rahmen des Gedenkens.

Lothar Bindczeck wies nicht nur auf die Geschehnisse besagter Nacht hin, sondern erinnerte auch, wie die Diskriminierung schon seit 1933 politisch, moralisch, rechtlich und mit wachsender Brutalität „vor den Augen der Öffentlichkeit“ immer mehr zunahm und sich zudem auch gegen andere so genannte Minderheiten richtete. Es bleibe wichtig, an die Pogromnacht zu erinnern. „Es tut Not angesichts des andauernden latenten und immer wieder konkreten Antisemitismus wie zuletzt in Halle und eines zunehmenden Ausländerhasses in Europa und bei uns“, so Bindczeck, auch wenn Diskriminierung und Terror heute nicht vom Staat ausgehe. Die Erinnerung an diese dunkle Zeit sei gerade kein „Vogelschiss der Geschichte“, sondern müsse für alle Zeiten als Mahnung gegen Menschenverachtung, Antisemitismus und Gewalt gegen Menschen wachgehalten werden.

Miehlens evangelischer Pfarrer Michael Wallau informierte die vielen Besucher am Marktplatz über das Leben seines Amtsvorgängers Hans von Lengerke, der von 1921 bis 1958 Pfarrer in der Mühlbachgemeinde war und dokumentierte, wie es diesem gelang, als Sohn einer jüdischen Mutter nicht Opfer des Holocaust zu werden und sich etwa der von der Gestapo angekündigten Deportation zur Zwangsarbeit zu entziehen. In den eigenen kirchlichen Reihen wurden 1933 die „Arierparagraphen“ übernommen, dem sich die Vertreter der Bekennenden Kirche, zu denen von Lengerke zählt, vehement widersetzten. Wallau zitierte aus dem Schriftverkehr zwischen Lengerke und dem damaligen Braubacher Pfarrer Karl Amborn sowie mit Pastor Martin Niemöller (er wurde 1947 erster Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau) und machte deutlich, wie schwierig es für den Theologen wurde, überhaupt noch seinen Dienst auszuüben und sich gegen das Regime zu wehren, wobei ihm letzten Endes weder seine Abstammung aus dem preußischen Offiziersadel noch militärische Ehren wie das Eiserne Kreuz halfen.

Hilfe erhielt er indessen aus der Nachbarschaft, als er im Januar 1945 von der Gestapo zum Arbeitseinsatz „einberufen“ werden sollte und es Versuche gab, ihn zu verhaften, wie Wallau berichtete. Der „Becher Müller“ Jakob Gemmer (1873 - 1946) habe ihm rechtzeitig geholfen, sich zu verstecken. Wallau: „Bis heute gibt es einen halb verdeckten, aber bequemen Heckendurchschlupf zwischen Pfarrgarten und der Becher Mühle. Ein Vierteljahr später kamen die Amerikaner nach Miehlen. Der Alptraum fand ein Ende“. Bernd-Chr. Matern

Zu den Fotos:
Mit einer Mahnwache wurde auf dem Marktplatz an die 1938 offen ausbrechende Gewalt gegen Miehlener Mitbürger jüdischen Glaubens erinnert und vor einer wachsenden Menschenverachtung heutzutage gewarnt. Auch Dokumente zur geplanten Inhaftierung des damaligen Pfarrers von Lengerke wurden gezeigt. Fotos: Matern