TrauerhalleNastaetten2017 becrima  

Eingeschränktes Erinnern an Verstorbene schmerzt doppelt

Wie die Kirchengemeinden im evangelischen Dekanat Nassauer Land in der Pandemie den Ewigkeitssonntag begehen

RHEIN-LAHN. (20. November 2020) Mit dem Ewigkeitssonntag haben trauernde Angehörige Verstorbener noch einmal Gelegenheit, mit der ganzen Gemeinde ihrer Trauer um einen geliebten Menschen Ausdruck zu geben. Volle Gotteshäuser sind die Regel. Im Normalfall überlassen selbst treue Kirchgänger an diesem letzten Sonntag des Kirchenjahres Angehörigen ihren Sitzplatz. Doch in diesem Jahr ist es in den Kirchengemeinden des evangelischen Dekanats Nassauer Land mancherorts nicht einmal möglich, dass alle Verwandten teilnehmen dürfen, um eine Ausbreitung des Corona-Virus zu verhindern, erst recht nach dem November-Lockdown.

„Doppelt schmerzhaft ist das für Familien, die schon im Frühjahr einen geliebten Menschen nur im allerengsten Familienkreis bestatten durften“, weist Dekanin Renate Weigel auf das seelische Dilemma vieler Menschen hin. „Durch den neuerlichen Lockdown gibt es jetzt schon wieder für viele Angehörige und Bekannte von Verstorbenen kaum Gelegenheit, am Gedenken teilzunehmen.“ Seelsorge sei in diesen Zeiten wichtiger denn je, sei es telefonisch, im direkten Gespräch mit Sicherheitsabstand oder auch bei Spaziergängen im Freien, die manche Pfarrpersonen anbieten.

Für den kommenden Sonntag sind unterschiedliche Formate des Gedenkens im Rhein-Lahn-Kreis geplant. Mit mehr als einem Gottesdienst, kurzen Gedenk-Angeboten und Andachten im Freien wollen die evangelischen Kirchengemeinden so vielen Menschen wie möglich Raum für die Trauer und Fürbitten anbieten. Disziplin und Gefühl? Das passt nicht wirklich zusammen ebenso wenig wie die derzeit vorgeschriebene „Anmeldung“ zum Trauern, die in allen Gemeinden obligatorisch ist bei Gottesdiensten. Trotz Gedenkfeiern in großen Kirchen oder im Freien: die Zahl der Angehörigen oder Gemeindeglieder, die daran teilnehmen können, ist fast überall beschränkt, um entsprechenden Sicherheitsabstand gewährleisten zu können.

Kleinere Gotteshäuser sind derzeit ohnehin tabu für größere Gottesdienstfeiern. So werden etwa die Verstorbenen in den sieben Ortsgemeinden des Kirchspiels von Pfarrerin Silke Funk aus Dienethal schweren Herzens nur in Gedenk-Gottesdiensten in den drei größten Kirchen in Becheln, Geisig und Schweighausen verlesen werden können. „Unsere Kirchen sind für die klassischen Gottesdienste dieses Tages einfach viel zu klein“, stellt auch Esterau-Pfarrerin Kerstin Janott aus Langenscheid fest. Immerhin: Den ganzen November verwandelt sich die kleine Langenscheider Kirche im Rahmen eines Konfi-Projektes in einen „Hoffnungsraum“, der natürlich auch Trauernden offen steht.

GrabkulturBuga2011 co becrima Mancherorts wird der Gottesdienst ins Freie auf den Friedhof verlegt wie in Isselbach oder in einigen Dörfern an der Aar. Nassaus Gemeindepfarrerin Mariesophie Magnusson ergänzt: „Angehörigen biete ich auch ein ganz persönliches Gedenken am Grab an“. Darüber hinaus öffnen sich die Türen der evangelischen Johanniskirche in Nassau am Ewigkeitssonntag in diesem Jahr für zwei Gottesdienste, morgens und abends. Das ist die häufigste Lösung in den evangelischen Kirchengemeinden des Nassauer Landes, um möglichst vielen Menschen das Erinnern zu ermöglichen.

So werden auch in Diez fürs Verlesen der mehr als 70 Verstorbenen jeweils zwei Gottesdienste in der Stiftskirche und der Jakobuskirche angeboten, beides relativ große Gotteshäuser. „In der Trauer hilft Nähe, ein Händedruck, eine Umarmung“, sagt Gemeindepfarrerin Maike Kniese im YouTube-Kanal „Evangelisch in Diez“ mit Blick auf den kommenden Ewigkeitssonntag. In dem Beitrag erinnert sie noch einmal an die außergewöhnliche Situation und Belastung von Trauernden während der Corona-Pandemie. Die Theologin weist noch auf eine andere Sorge hin. „Vielen Angehörigen tut es gut, wenn sich alle Verwandten beim Abschiednehmen versammeln.“ Das sei durch die Pandemie nicht immer möglich gewesen. Im Frühjahrs-Lockdown war die Zahl der Beerdigungsgäste stark eingeschränkt, so dass manch weit entfernt wohnende Verwandten auf die Teilnahme verzichteten. Diese kämen dann auch nicht zur Verlesung der Toten, zumal ja private Treffen gerade auf ein Minimum beschränkt sind und solch ein Besuch problematisch wäre.

Von persönlichen Anrufen bei Trauerfamilien berichtet Kördorfs Gemeindepfarrerin Antje Dorn; die Pfarrpersonen telefonisch um ein Seelsorge-Gespräch zu bitten, bestehe ohnehin jederzeit, was in den vergangenen Monaten überall im Dekanat reichlich geschah. Persönliche Anschreiben, Kerzen, Rosen, Gedenkkarten mit Bibelversen und gedruckte Andachten für zuhause sind zusätzliche Formen, mit denen sich die Kirchengemeinden im Dekanat nicht nur am kommenden Ewigkeitssonntag an trauernde Gemeindeglieder wenden.

Die grundsätzliche Bedeutung des Ewigkeitssonntags für trauernde Angehörige unterstreicht der erfahrene Seelsorger Pfarrer Armin Himmighofen, der im Dekanat Nassauer Land immer wieder regionale Selbsthilfegruppen für Trauernde leitet. „Dieses öffentliche Gedenken zusammen mit anderen Menschen, dem Nennen der Namen oder dem Anzünden von Kerzen, ist ein wichtiger Schritt im Trauerprozess“, weiß der Theologe aus Jahrzehnte langer Erfahrung. Es sei sehr schwierig für Trauernde, mit der Öffentlichkeit den Verlust eines geliebten Menschen zu teilen, darüber zu sprechen. „Es geht am Ewigkeitssonntag um das Wahrnehmen und wahrgenommen zu werden“, so Himmighofen. Bernd-Christoph Matern

Eine kleine Andaacht von Dekanin Renate Weigel finden Sie hier

Zu den Fotos:
Am kommenden Sonntag wird in Kirchen und auf Friedhöfen im Rhein-Lahn-Kreis den Verstorbenen des zu Ende gehenden Kirchenjahres gedacht. Das Foto oben zeigt die Trauerhalle in Nastätten. Fotos: Matern