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Verzweiflung über den plötzlichen Verlust lindern

Notfallseelsorge Rhein-Lahn leistet seit 20 Jahren Erste Hilfe für die Seele

RHEIN-LAHN/WESTERWALD. (20. Januar 2021) Ein plötzlicher Tod zerreißt Familien. Durch Verkehrsunfälle, Suizide und andere plötzliche Todesfälle erleiden Familien, aber auch Augenzeugen oder manchmal sogar die Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten Traumata. „Im Falle eines Suizids werden statistisch gesehen etwa zehn Leben nachhaltig verändert; wie bei vielen anderen unserer Einsätze nimmt das Leben der Angehörigen durch einen solchen NFSPfrnBraun Steinebach2 Hammann GonschorekSchicksalsschlag einen anderen Verlauf,“ sagt Notfallseelsorgerin Ulrike Braun-Steinebach. Die evangelische Pfarrerin leitet seit vielen Jahren die beiden ökumenischen Notfallseelsorgen im Westerwald und im Rhein-Lahn-Kreis. Sie und ihre Teams stehen genau da den Menschen bei, wo es besonders weh tut: im ersten Moment des Schocks, in der Phase der ungläubigen Verzweiflung über den plötzlichen Verlust eines geliebten Menschen. Da gilt es Tränen aushalten, emotionale Unterstützung zu geben und einen Weg in die Trauer zu finden. Pfarrerin Braun-Steinebach hat mit uns im Interview über ihre Arbeit gesprochen.

Frage: Frau Braun-Steinebach, wann wird die Notfallseelsorge gerufen?

Braun-Steinebach: Die Integrierte Leitstelle in Montabaur ruft uns im Auftrag der sich im Einsatz befindlichen Rettungskräfte zur Hilfe. Wir werden alarmiert, wenn Betroffene, Angehörige oder manchmal auch Einsatzkräfte Erste Hilfe für die Seele benötigen. Im vergangenen Jahr wurden wir so zu 82 Einsätzen im Westerwald und 35 Einsätzen im Rhein-Lahn-Kreis gerufen. Wir helfen Menschen, die sich plötzlich in einer Ausnahmesituation befinden, die ein Ereignis erleben, das ihr Leben aus der Bahn wirft und die nun rasch einen seelsorglichen Beistand brauchen. Das kann zum Beispiel durch das Überbringen einer Todesnachricht beim Suizid eines nahen Angehörigen oder einem tödlichen Verkehrsunfall geschehen.

Frage: Inwiefern hilft die Anwesenheit der Notfallseelsorge?

Braun-Steinebach: Ich bin davon überzeugt, dass wir die Zukunft der Hinterbliebenen verändern können. Für den Menschen, der sich plötzlich in einer Ausnahmesituation wiederfindet, ist es wichtig, dem Geschehen nicht allein und hilflos ausgeliefert zu sein. Unabhängig davon, ob unsere Hilfe angenommen oder zurückgewiesen wird, so erlebt sich der betroffene Mensch nicht völlig ohnmächtig.

Frage: Wie sieht das praktisch aus?

Braun-Steinebach: Manchmal ganz schlicht, indem wir eine Hand halten und einfach Zeit haben. Wir bieten aber auch helfende Rituale an, wie die Aussegnung Verstorbener. Dabei entstehen Brücken und offene Türen, Hinterbliebene können sich verabschieden und es fällt ihnen, meiner Erfahrung nach, leichter zu trauern.

Frage: Braucht es für diesen Dienst nicht einen besonders stabilen Charakter?

Braun-Steinebach: Sicher ist es eine anspruchsvolle Aufgabe. Eine Notfallseelsorger*in sollte erst mal für sich klären: Was ist meine Motivation? Die Person muss sich kennen und mit sich selber umgehen können und darf Themen wie Tod, Sterben und Trauer nicht scheuen. Unsere Schulung selbst besteht zunächst aus einem 80-stündigen Grundkurs und weiteren begleitenden Fortbildungen und Supervisionen. Aus Erfahrung gehen wir dabei in der Regel von einem langfristigen Engagement unserer Ehrenamtlichen aus, auf jeden Fall aber mindestens zwei ganze Jahre. Weitere wichtige Faktoren sind Verschwiegenheit, psychische und physische Belastbarkeit und nicht zuletzt die Möglichkeit zu haben, auch nachts im eigenen Auto zum Einsatz zu fahren.

Frage: Und die Tätigkeit selbst ist ehrenamtlich?

Braun-Steinebach: Ja, Notfallseelsorgende kommen aus unterschiedlichen Berufen und leisten aus einer christlichen Motivation heraus ehrenamtlich diesen Dienst. Und zwar für alle, die Hilfe brauchen, unabhängig von Religion und Weltanschauung. Wir haben Pfarrer*innen und Laien, die mitarbeiten. Ich selbst bin als Pfarrerin mit den Pfarrämtern für Notfallseelsorge im Westerwald und im Rhein-Lahn-Kreis von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau beauftragt.

Frage: Wie hat die COVID 19 Pandemie die Arbeit der Notfallseelsorge verändert?

Braun-Steinebach: Mit großem Bedauern haben wir Mitte März 2020 die beiden Notfallseelsorgesysteme Westerwald und Rhein-Lahn vom Netz genommen. Wir haben uns diesen Schritt damals nicht leicht gemacht. Nach intensiven Beratungen waren wir jedoch zum Schluss gekommen, dass wir unter dem Eindruck des vom Coronavirus (SARS-CoV-2) ausgehenden Risikopotentials unserer Fürsorgepflicht gegenüber Opfern, Einsatzkräften und unseren eigenen ehrenamtlichen Kräften nicht anders gerecht werden konnten. Zu groß waren die Unwissenheit und das Risiko. Knapp fünf Monate lang haben wir Einsatzanfragen nur im Einzelfall beantworten können.

Frage: Haben sich die Einsätze nach der Wiederaufnahme des Bereitschaftsdienstes pandemiebedingt verändert?

Braun-Steinebach: Die Maßnahmen zur Reduzierung des Ansteckungsrisikos, zum Beispiel die Pflicht zum Masketragen und Abstandhalten, lassen sich mit unserem Angebot menschlicher Nähe nur schwer in Einklang bringen. Aufgrund des unübersichtlichen Infektionsgeschehens ist jeder Einsatz mit einem erhöhten Risiko behaftet. Um in diesen Zeiten unserer erwähnten Fürsorgepflicht gerecht werden zu können, bedarf es einer sensiblen und zugleich vorsichtigen Herangehensweise. So können wir leider nicht immer handeln, wie wir es uns wünschen oder wollen. Ich habe dennoch die Hoffnung, dass unsere Einsätze auch weiterhin einen Sinn haben und den Menschen im Hier und Jetzt Trauer und langfristig Zukunft ermöglichen.

Das Gespräch führte Sabine Hammann-Gonschorek

 

Notfallseelsorge Rhein-Lahn hatte 35 Einsätze im Jahr 2020

Corona-Pandemie sorgte für schmerzliche Zwangspause des ehrenamtlichen Teams

RHEIN-LAHN. (20. Januar 2021) 35 Einsätze verzeichnete die Notfallseelsorge Rhein-Lahn im Jahr 2020. Ob nach einem Verkehrsunfall, einem Suizid oder anderen tragischen Ereignissen – wenn Menschenleben in Gefahr sind oder der plötzliche Tod Angehörige verzweifeln lässt, wurden im Rhein-Lahn-Kreis nicht nur Rettungskräfte und Ärzte angefordert, sondern auch die Notfallseelsorge, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im vergangenen Jahr zirka 80 Stunden im Einsatz waren.

Zwischen 30 Minuten und sieben Stunden dauerten die Einsätze der Frauen und Männer im Ost- und im Westteil des Kreises. Alarmiert wurden sie in 27 Fällen von der Rettungsleitstelle in Montabaur sowie von Betroffenen selbst oder anderen Seelsorgenden. Die Einsatzzeiten lagen vor allem am Mittag; siebenmal kam der Alarm abends oder in der Nacht. Nach wie vor stellt der plötzliche häusliche Tod mit neun Alarmierungen den häufigsten Einsatzgrund dar, achtmal wurde eine Todesnachricht überbracht, außerdem wurde die Notfallseelsorge unter anderem bei fünf Verkehrsunfällen und sechsmal im Zusammenhang mit einem Suizid angefordert. Darüber hinaus gab es sieben Einsätze aus Anlass von anderen Notsituationen.

Im 19. Jahr des Bestehens der Notfallseelsorge (NFS) im Rhein-Lahn-Kreis, die auch „Erste Hilfe für die Seele“ genannt wird, konnte sie erstmals für einen Zeitraum von fünf Monaten bis zum Ende der Sommerferien aufgrund der Corona-Pandemie nicht mehr direkt verständigt werden, um das Ansteckungsrisiko für Opfer, Rettungskräfte und die eigenen Einsatzkräfte zu minimieren. So gab es im April, Juni und Juli keine Einsätze. In Extremsituationen verständigte die Integrierte Leitstelle die NFS-Leiterin Pfarrerin Ulrike Braun-Steinebach, die sich dann um die Organisation des Einsatzes kümmerte. Von August bis Ende Dezember gab es 20 Einsätze.

Trotz der widrigen Umstände gab es eine gelungene Schulung zur EU-Datenschutzgrundverordnung, einen Studientag „Umgang mit Angehörigen nach Suizid“ bis hin zu einem NFS-Grundkurs und einem Gottesdienst für Einsatzkräfte. Auch ein gemütliches Beisammensein war vor Ausbruch der Pandemie noch möglich. Die beiden Vorstände konnten gemeinsam tagen und die Supervisionsgruppen trafen sich gewinnbringend an wechselnden Orten unter den jeweils geltenden Hygienebestimmungen. Ebenso waren nach den Sommerferien noch Grundkursabende unter den gegebenen Umständen möglich. Bernd-Chr. Matern

Zum Foto:

Die Notfallseelsorge Rhein-Lahn wurde im Jahr 2020 zu 35 Einsätzen gerufen, damit sich Menschen in Notsituationen wie nach einem Verkehrsunfall nicht allein gelassen fühlen. Geleitet wird die Notfallseelsorge in den beiden Kreisen von Pfarrerin Ulrike Braaun-Steinebach. Fotos: Matern/Hammann-Gonschorek

Interessenten für die Notfallseelsorge werden immer gesucht. Info und Kontakt: Pfarrerin Ulrike Braun-Steinebach, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Telefon: 02602-950459, Mobil: 0160-90229231