Erinnern, was Populismus und Hass anrichten

Pfarrerin Vongehr recherchierte: In Isselbach wird Gedenkplatte für ermordete jüdische Einwohner eingeweiht

 

 ISSELBACH. (18. November 2018) „Wir wünschen Frieden euch allen“, klingt es aus der Isselbacher Kirche. Der Wunsch der Gemeinde, die in einem Gottesdienst am Volkstrauertag insbesondere der Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens gedachte, die im Dritten Reich ermordet wurden. Vor dem Segen wird direkt neben dem Gotteshaus eine auf Initiative von Gemeindepfarrerin Irene Vongehr angefertigte Gedenkplatte enthüllt, die auf einem Stein an die Opfer namentlich erinnert.

 

Die Idee der Pfarrerin, in der kleinen Gemeinde an die Opfer des Holocaust zu erinnern, bewegt die Theologin schon seit vielen Jahren. Nachdem ihr ein Studienurlaub die Zeit zur Recherche gab und ihr Vorhaben auch auf kommunaler Seite offene Ohren fand, konnte es nun in die Tat umgesetzt werden.

 

Nicht nur der 80. Jahrestag der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 sei ein guter Anlass, das Gedenken in Form einer Bronzeplatte zu verwirklichen. In Zeiten, in denen Antisemitismus wieder offen ausbricht und wachsender Populismus für Hass und Spaltung sorgen, sei das Erinnern besonders wichtig, so Vongehr.

 

„Die Quellenlage war sehr dünn“, erzählt sie vom Beginn ihrer Nachforschungen. Neben der Sichtung von Zivilstands- und Standesamtsregistern, Gesprächen mit Zeitzeugen und Internet-Recherchen in Archiven wie dem der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel, bot ihr die Ortschronik wichtige Anhaltspunkte zur politischen Stimmung während des Dritten Reichs in Isselbach. So entstanden in Sisyphusarbeit peu á peu die Stammbäume für 18 Isselbacher, an die das Denkmal namentlich erinnert. Bis ins 14. Jahrhundert lassen sich Zeugnisse für Bürger jüdischen Glaubens in der Ortschaft zurück verfolgen. Ab 1820 wächst die Zahl jüdischer Familien, die den Ort zu einem Einkaufszentrum fürs Gelbachtal werden lassen. „Die Geschäfte deckten die gesamte Angebotspalette ab“, berichtet Vongehr.

 

1895 lebte 37 Bürgerinnen und Bürger mit jüdischem Glauben in Isselbach, 1933 noch 27. Einige wanderten aus; fünf Ehepaare sowie acht andere jüdische Einwohner, die teilweise noch in Nachbarorte des Westerwaldes umgezogen und geheiratet hatten, wurden bis 1945 deportiert und in Konzentrationslagern ermordet. Die 18 Namen sind in die Bronzeplatte graviert.

 

„Dabei handelte es sich um Isselbächer wie alle anderen auch“, fasst Vongehr vor allem ihre Gespräche mit Zeitzeugen zusammen, die sich noch an Schulkameraden und den damaligen Lebensalltag erinnerten, bevor die Verfolgung der Juden mit den Pogromen von 1938 offen ausbrach und systematisch betrieben wurde. Dass die NSDAP damals solchen Zuspruch erfuhr, ist für Vongehr durchaus nachvollziehbar. Die Propaganda habe eine Aufbruchstimmung vermittelt, von der sich die Menschen mitreißen ließen. „Das hatte schon religiöse Züge“, so die Pfarrerin. Auch wirtschaftlich sei der Eindruck eines Aufschwungs entstanden, etwa durch den Bau der Autobahn.

 

„Umso wichtiger ist es, heute daran zu erinnern und davor zu warnen, wo Antisemitismus und Populismus hinführen“, so Vongehr. Die Gedenktafel an die ermordeten Juden dürfe neben den Denkmälern für die Soldaten der beiden Weltkriege nicht fehlen. „Das gehört dazu“, erklärt die Theologin, „die Opfer müssen mit Namen genannt werden.“

 

Vor der Enthüllung des Denkmals zusammen mit Ortsbürgermeister Ulrich Jürgens wurde im Gottesdienst ans Leben und Leiden der Juden in Isselbach erinnert. Musikalisch sehr stimmungsvoll und bewegend umrahmt wurde die Feierstunde vom Limburger Künstler Søren Thies, der für seine Klezmer-Musik in der Region bekannt ist. Der sang unter anderem die ebenso freundliche wie melancholisch wirkende Weise: „Eine kleine Sehnsucht braucht Jeder, um glücklich zu sein“. Bernd-Christoph Matern

 

 

Zu den Fotos: „Sie waren unsere Nachbarn“, steht auf der Gedenkplatte. In einer Feierstunde wurde das Denkmal am Volkkstrauertag enthüllt. Fotos: Kirchengemeinde/Matern