Zahlenmensch im Talar pendelt zwischen Schwarzwald und Nassauer Land
Pröpstin Henriette Crüwell ordiniert Sabine Rettinghaus in Kördorf zur Pfarrerin im Ehrenamt
KÖRDORF/RHEIN-LAHN. (24. März 2025) Es ist höchst selten und etwas Besonderes, was da in der evangelischen Kirche von Kördorf jetzt passierte: Sabine Rettinghaus wurde dort von Pröpstin Henriette Crüwell zur Pfarrerin im Ehrenamt ordiniert. Das ist im Dekanat einzigartig, und im ganzen Gebiet der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gibt es das nur 15-mal. Üblicherweise ist mit einer Ordination nicht nur im Rhein-Lahn-Kreis die Einführung in die pfarramtliche Betreuung einer Kirchengemeinde oder neuerdings einer evangelischen Nachbarschaft verbunden, nicht so bei Sabine Rettinghaus, die weiter ihrem Hauptberuf nachgeht.
Als hauptamtlich arbeitende kirchliche Verwaltungsleiterin in Baden-Württemberg fungiert sie nun im Ehrenamt als Pfarrerin und wird an den Wochenenden, wenn sie Familie und Freunde in Fachingen und der Region besucht, in Kördorf und der Nachbarschaft Lahn-Taunus Dienst tun. Ihre Bereitschaft, in ihrem Amt dort zu sein, wo Lücken sind, um Gottesdienste und Abendmahl zu feiern, griff Pröpstin Crüwell in ihrer Ordinationsansprache auf.
Kirche ist kein „Closed Shop“
Keineswegs sollte sich die neue Pfarrerin und andere auch nicht wie eine Lückenbüßerin vorkommen, sagte Crüwell und überreichte ihr eine Buchstütze mit einem Luther-Konterfei. So eine zusammenhaltende Stütze sei fürs Bücherregal hilfreich. Doch Kirche dürfe nie zum „closed shop“ werden. Crüwell: „Es ist auch gut, wenn Lücken da sind, ein Platz für Menschen, die wir noch nicht im Blick haben und die viele andere Perspektiven mitbringen“. Dazu zählte die Pröpstin auch Vita und den Beruf, den Rettinghaus als ein „Zahlenmensch“ ausübt. Das sei eine Weisheit, die das Pfarramt in einem anderen Licht betrachtet. Die Kirche brauche eine gute und unterstützende Verwaltung. Und bei Rettinghaus sei sie mit theologischer Begeisterung gepaart, sagte Crüwell vor dem Ordinationsakt. Den begleiteten mit Segensworten Dekanin Kerstin Janott, Pfarrer Klaus Gölz aus der Kirchengemeinde Schwenningen, Barbara Straub von der Gesamtkirchengemeinde Mühlacker, Tatjana Lapp-Witt vom Kirchenvorstand Kördorf sowie dessen Gemeindepfarrerin Antje Dorn. Organistin Anke Scheurer sorgte für eine brillante musikalische Umrahmung des Festgottesdienstes an Orgel und Querflöte.
Dass sie ein Mensch ist, der sich als „echter Hesse und Nassauer“ fühlt, wie die in Villingen-Schwenningen lebende Theologin mit einem Augenzwinkern feststellt, hat seinen Grund: Rettinghaus ist in Mainz geboren und dort sowie in Rüsselsheim und Fachingen aufgewachsen. Nach dem Studium von evangelischer Theologie und Betriebswirtschaft sowie einem Gemeindevikariat in Mörfelden und dem Spezialvikariat am früheren Rentamt Gernsheim führte ihr Berufsweg nicht ins hauptamtliche Pfarramt, sondern 2005 in den kirchlichen Verwaltungsdienst der württembergischen Landeskirche. Unter anderem oblag ihr die Geschäftsführung der Kindergartenverwaltung, seit 20 Jahren arbeitete sie als „Kirchenpflegerin“, was hierzulande der Tätigkeit eines kirchlichen Verwaltungsleiters entspricht.
Als Volltheologin war ihr aber wichtig, auch als Pfarrerin arbeiten zu können. Gottesdienste haben für sie als Zentrum des Gemeindelebens besondere Bedeutung. „Von dort heraus baut sich theologisch gesprochen das Gemeindeleben auf“, sagt die frisch gebackene Pfarrerin, auch wenn ihr bewusst sei, dass dies von Gemeindegliedern auch anders gesehen und gelebt werde. Schon im Religionsunterricht wuchs die Verbundenheit zur Kirche und sie engagierte sich unter anderem als Kindergottesdiensthelferin. „Das Faszinierende ist, dass es neben der Kategorie dieser Welt, die nach Leistung, Leistungsfähigkeit oder Status den Menschen beurteilt, im Juden- und Christentum der Mensch ein von Gott angenommener Mensch ist, unabhängig des Leistungsvermögens“, so Rettinghaus. Durch ihre Eltern habe sie erleben und erfahren können, aus der christlichen Zuversicht und Hoffnung auf Gnade leben zu können. Ihre Familie stammt aus Fachingen und Diez. Das Nassauer Land und Mainz sind für sie deshalb ebenso Heimat wie die EKHN: „Sie ist eine liberale Kirche sowohl im theologischen Denken als auch in der politischen Haltung, und sie ist offen für die gesellschaftliche Entwicklung“.
Über die theologische Verstärkung für Kördorf und die Region freute sich Pfarrerin Antje Dorn, die zu einem Empfang Gäste aus Baden-Württemberg und dem Nassauer Land begrüßte und zum Lachen brachte, als sie an eine Begegnung mit Rettinghaus während einer Studienreise in Israel erinnerte. Eigentlich wollte Dorn großzügig sein und die Getränke der Studienkollegin auf ihre Zimmernummer schreiben lassen, vertauschte aber die Zahlen 396 und 395. Doch die beiden Nummern passten zum Anlass, verbergen sich dahinter doch die Gesangbuchlieder „Vertraut den neuen Wegen“ und „In dir ist Freude“. Freude und Wertschätzung drückten unter anderem auch Dekanin Janott und die Vorsitzende der Synode Astrid Ellermann aus. Mit würzigem Senf erinnerte Janott ans Bibelwort „Ihr seid das Salz der Erde“.
Alle Getauften sind berufen
„In der evangelischen Kirche gibt es keinen eigenen Priesterstand wie in der katholischen Kirche. Alle Getauften sind zum Zeugnis und Dienst in der Welt berufen. Alle Ämter der Kirche dienen diesem Auftrag“, erklärt Pröpstin Henriette Crüwell den Grundsatz. Wenn einzelne zur öffentlichen Verkündigung und zur Verwaltung der Sakramente von der Kirche ordnungsgemäß beauftragt würden, geschehe dies im ehrenamtlichen Prädikantendienst in einem Beauftragungsgottesdienst und bei Pfarrpersonen mit der Ordination. Im Unterschied zur drei- bis vierjährigen Ausbildung von Prädikanten haben Pfarrpersonen ein abgeschlossenes Studium der Theologie und ein Vikariat absolviert. „Wie alle Pfarrerinnen und Pfarrer versprechen auch die im Ehrenamt mit ihrer Ordination unter anderem die Wahrung des Beichtgeheimnisses und der seelsorgerlichen Schweigepflicht“, so Crüwell.
Mit der Ordination von Pfarrpersonen ins Ehrenamt reagierte die EKHN auf eine Entwicklung in den 1980-er und 1990-er Jahren, als es mehr voll studierte und ausgebildete Theologinnen und Theologen gab als Stellen für den Pfarrdienst. Bernd-Christoph Matern
Zu den Fotos:
Bild oben: Sabine Rettinghaus (links) wurde in der evangelischen Kirche von Kördorf von Pröpstin Henriette Crüwell (Mitte) zur Pfarrerin im Ehrenamt ordiniert. Segensworte kamen von Pfarrerin Antje Dorn, Barbara Straub, Dekanin Kerstin Janott, Pfarrer Klaus Gölz und Tatjana Lapp-Witt (von rechts). Fotos: Matern