So war der Kirchentag: Fünf Tage faires Streiten und viel Seelenbalsam
Teilnehmende aus dem Rhein-Lahn-Kreis schöpfen in Hannover Kraft für Alltag und Engagement in Gemeinden
HANNOVER/RHEIN-LAHN. (7. Mai 2025) Gestärkt mit guten Gedanken und positiven Erfahrungen für Geist und Seele sind fast 100 Teilnehmende aus dem Rhein-Lahn-Kreis vom Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover in ihre Heimat zurückgekehrt.
„Der Kirchentag hat uns wieder gezeigt, wie ein guter Austausch, wertschätzende Diskussionen, Haltungen und Aktivitäten möglich sind“, beschreibt Ralf Skähr-Zöller vom Organisationsteam einer Gemeinschaftsfahrt der Dekanats Nassauer Land, seine Eindrücke. Es sei eine einmalige Gelegenheit, relevante Fragen der Zeit zu diskutieren, Lösungen zu entwickeln und damit wichtige Impulse für Gemeinwohl, Politik und weltweite Ökumene zu erhalten. In den Kirchengemeinden engagierte Leute hätten zudem auf dem Markt der Möglichkeiten jede Menge Anregungen für die eigene Arbeit mitgenommen.
Seine besonderen Erlebnisse teilt er mit vielen Gästen aus dem Rhein-Lahn-Kreis, etwa die großen, fantastischen Gottesdienste, „die einen tragen“. Der intensive Eröffnungsgottesdienst, ein Feierabendmahl in der Marktkirche sowie der Abschlussgottesdienst am Sonntag. „Aber auch immer mal ein kleiner Gottesdienst zwischendurch. Hier war eine lebendige, aktive Kirche zu erleben – wir sind da!“, so Skähr-Zöller.
Hoffnung auf Vernunft statt Laustärke
Ein Podium mit Schriftstellerin Eva Menasse „Ringen um Worte“, in dem es um die Gewalt in Israel und dem Gazastreifen ging, war für Ulrich Werner aus Miehlen ein Highlight, in dem mit klaren Worten zwischen Antisemitismus und berechtigter Kritik an der Politik der israelischen Regierung unterschieden worden sei. Auch die Abschlusspredigt von Johanna Reichel über Zumutungen des Alltags, Unzumutbarkeiten der anderen und eigene Unzulänglichkeiten bleibt ihm in guter Erinnerung, die dazu ermunterte, Differenzen klar zu benennen, um Versöhnung zu erreichen.
Reichel, sie lehrt Systematische Theologie im amerikanischen Princeton, bezog sich in ihrer Predigt unter anderem auf Aussagen von US-Vizepräsident J.D. Vance, der gesagt habe, dass Familie und Land zuerst kämen. Die Theologin hob dagegen die Liebe Gottes als eine verbindende Kraft zwischen allen Menschen hervor. „Die ganze Welt gehört Gott. Und Gottes Liebe gilt eben auch den ‚anderen‘ und wenn sie noch so nervig sind“, sagte Reichel und erklärte weiter: „Wovor wir uns fürchten sollten, ist, mit unserer kleinkarierten Liebe Politik zu machen“. Sie baue Mauern, ziehe Gräben und teile die Welt in Freund und Feind ein. „Aber nichts von all unseren Trennungen und Ängsten kann uns trennen von der Liebe Gottes.“
Aus Hannover nimmt der stellvertretende Vorsitzende der Dekanatssynode außerdem die Gewissheit mit, „dass wir immer noch viele sind und dass darum weiter Hoffnung besteht, dass am Ende nicht die Lautesten sich durchsetzen, sondern die Vernünftigen“.
Bekannte Namen aus der Politik von Angela Merkel über Hubertus Heil bis zu Philipp Amthor und Ricarda Lang ziehen die Gäste aus Taunus und Westerwald zu Diskussionen und Bibelarbeiten in die mehrere tausend Menschen fassenden Messehallen. Standing Ovations gibt es aber noch vor dem ersten Wort für Bischöfin Mariann Budde aus Washington, die den „mächtigsten Mann der Welt“ Donald Trump in einem Gottesdienst zu dessen Einführung um Erbarmen und Mitgefühl für die Schwächsten der USA, für die dort lebenden Flüchtlinge und Menschen anderer Herkunft bat. Sie dankt nicht nur für diesen bewegenden Empfang, sondern auch für die vielen unterstützenden Worte, die sie seither erfahren hat. Anja Beeres aus Obertiefenbach hat die Begegnung besonders bewegt, „weil da Evangelium pur verkündet wurde“. Eine ganz tolle Auslegung über die Nacht und die Dämmerung sei das gewesen, die Rettung und die Liebe, die danach kommt. „Mich haben Liebenswürdigkeit und Warmherzigkeit dieser Frau sehr bewegt, die überhaupt nicht politisieren wollte“, erzählt die langjährige Präses des Dekanats Nassauer Land. Sie hätte damit den Saal „ja rocken können“, so Beeres. „Das hat sie sowieso getan, aber durch ihre Auslegung des Evangeliums“.
Um den Limburger Bischof und Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing zu treffen, muss man zwar nicht nach Hannover fahren, aber da offenbart er sich zum Abschluss einer Bibelarbeit auch als Pianist. Im Dialog mit der Präsidentin des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe Bettina Limperg spricht er zuvor über die Rolle der Frau in der katholischen Kirche. „Die Jünger sind weggelaufen, die Frauen waren am Grab“, stellt der Theologe fest. Er äußert sich zudem zu demokratischen Strukturen und der Einheit der Kirche und wirbt um Zeit. Es lasse sich nicht ad hoc überwinden, was sich in 500 Jahren entwickelt habe. „Aber wir müssen dranbleiben“, erinnert Bätzing an die kleinen Schritte, die etwa in der Frage eines gemeinsamen Abendmahls nach zwei Jahren intensiver Vorbereitung zu einer Annäherung geführt habe: „Wir laden uns gegenseitig ein“. Sein überzeugtes Bemühen um Veränderungen finden bei den Besuchern aus dem Dekanat Nassauer Land mehr als Wertschätzung. „Das überzeugt mich nicht nur, was er sagt; ich glaube ihm auch, dass er das genauso meint“, ist etwa Gerd Jung aus Dausenau nach der Begegnung von Bätzings authentischer Art und seinen klugen Gedanken angetan.
Bewegende Momente
Kirchentag spricht bei den Besuchern des Nassauer Landes sowohl den Geist als auch die Sinne an. Dafür sorgt etwa ein allabendliches Lichtermeer von mehr als 20.000 Kerzen zum Abendsegen, das es im Rhein-Lahn-Kreis nicht zu erleben gibt. Bewegt vom Programm zeigt sich Cora Zöller aus Bad Ems, die das Erlebte zur Poesie im Tagebuch animiert. „Nur Dasein, Jubilieren, geflutet von Dankbarkeit und Freude. Eintauchen in Gottes Gegenwart“, umschreibt sie darin, „Kraft schöpfen, Mut zusprechen, beherzt in der Welt sein und die Fülle teilen.“ Hier lesen sie ihre Zeilen.
Viele emotionale Erinnerungen nimmt Sina Laatsch mit zurück an die Aar. So wurde in der U-Bahn auf dem Weg zurück ins Hotel plötzlich das Lied „Da berühren sich Himmel und Erde“ angestimmt und immer mehr Leute stimmten ein unabhängig von Herkunft, Konfession und Alter. „Die Klänge sorgten für einen Gänsehautmoment – von denen in den nächsten Tagen noch zahlreiche folgten“, ist sie von der Stimmung und dem Gemeinschaftsgefühl angetan. Ihr Fazit: „Mit einem Kopf voller Wissen und einem Herz voller Erfahrungen“ bin ich nach Hause gereist. Hier lesen Sie ihren vollständigen Bericht.
Sigrid Dreßler aus Miehlen berichtet schmunzelnd von einer anderen U-Bahn-Begegnung, als sie von einem Mann aus Hannover gefragt wurde, wo sie mit dem Kirchentags-Schal denn gerade herkomme. Als sie vom „Haus der Religionen“ vorschwärmte, staunte sie nicht schlecht, dass der Niedersache das Juwel seiner eigenen Stadt noch gar nicht kannte.
Musik machen und genießen
Was wäre Kirchentag ohne Musik? In diesem Jahr freuten sich die Mitglieder des Posaunenchores Obertiefenbach, wieder dabei zu sein. Und diesmal nicht wie in Nürnberg mit nur 600 Gleichgesinnten, sondern im großen und weitläufigen Hannover im Zusammenklang von gleich 2000 Bläserinnen und Bläsern aus ganz Deutschland. Mit diesen gestaltet die Gruppe aus dem Rhein-Lahn-Kreis einmal mehr den großen Abschlussgottesdienst mit 26.000 Menschen auf dem Platz der Menschenrechte. „Diesen Gottesdienst lassen wir uns nicht nehmen“, sagt Martina Adler aus Dahlheim, nachdem es für die Teilnahme an der Eröffnung zeitlich diesmal etwas zu knapp geworden war. Hinzu kamen zwei Auftritte in der Stadt. Dafür haben sie sich mit den Posaunenchören Merzhausen und Eltville zusammengetan und spielen unter souveräner Leitung von Erhard Reuter unter anderem vor der Neustädter Hof- und Stadtkirche. Stücke wie „Über den Wolken“, „Lobe den Herrn meine Seele“ oder „One Moment in Time“ finden eine außergewöhnlich große musikalische Zuhörerschaft. Eine Schlange von etwa 200 Personen steht vor der Kirche für ein Konzert an und würdigt den kurzweiligen Auftritt der Chöre aus dem Nassauer Land erfreut und dankbar mit kräftigem Applaus.
Publikumsmagneten sind einmal mehr die großen Bühnen, auf denen namhafte Künstler unterschiedlichster Genres auftreten. Als „Achterbahn der Gefühle und eine Mischung aus Lachtränen und Tränen der emotionalen Betroffenheit“, beschreibt Sina Laatsch etwa den Auftritt von Bodo Wartke auf dem Opernplatz. Generationen übergreifend ist die Begeisterung für Jupiter Jones, andere genießen erstklassigen Bigband-Sound mit dem Bundesjazzorchester, geistlichen Seelenbalsam mit Clemens Bittlinger und Sarah Straub, a-Capella-Hochgenuss mit der „The real group“ aus Schweden und den kongenialen Vokalisten „anders“ aus Freiburg oder Crossover-Arrangements von Nils Landgren, dem Mann mit der roten Posaune, und einem Meer von Posaunenchören vor der Bühne.
Dass die fünf Tage in Hannover nachwirken, zeigt sich daran, dass sich etliche der Kirchentags-Neulinge schon jetzt auf den in Düsseldorf in zwei Jahren vom 5. bis 9. Mai 2027 freuen.
Bernd-Christoph Matern
Zum Foto der Staffelübergabe
Am Samstag hatte das Kirchentagspräsidium zur offiziellen Staffelstab-Übergabe für den Kirchentag 2027 in Düesseldorf eingeladen. Bei der Zeremonie gab es freudige Gesichter von (von links): der rheinische Präses Thorsten Latzel (Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland), Klaudia Zepuntke (Bürgermeisterin Düsseldorf), Torsten Zugehör (Oberbürgermeister Wittenberg), Kristin Jahn (Generalsekretärin des Kirchentags), Bischof Ralf Meister (Bischof der Landeskirche Hannover), Anja Siegesmund (Präsidentin des Kirchentags) und Belit Onay (Oberbürgermeister Hannover). Fotos: Bernd-Christoph Matern
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