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Pilgererfahrung: Die Frage ist, ob Kirche lebt

Dekanin Renate Weigel und Wegbegleiter sammeln auf 180-Kilometer-Tour durch den Rhein-Lahn-Kreis bereichernde Eindrücke

PW Titelbild Kniese cmRHEIN-LAHN. (25. September 2020) „Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen“, heißt ein altes Sprichwort. Wer aber durch den Rhein-Lahn-Kreis pilgert, der hat noch viel mehr zu berichten, bewegt er sich doch langsamer, kann mehr beobachten und nicht nur von Sehenswürdigkeiten und einer wunderschönen Landschaft erzählen, sondern auch von inneren bleibenden Eindrücken. Zumindest klingt so das Echo einer Reihe von Menschen, die Dekanin Renate Weigel während ihres Pilgerwegs durchs Dekanat Nassauer Land über eine, mehrere oder fast alle ihrer neun Etappen durch den Rhein-Lahn-Kreis begleiteten. „Wer aufbricht, der kann hoffen“, war die anspruchsvolle Tour überschrieben.

PWDekanat NassauWeigelHimmighofen„In den Erfahrungen der Coronazeit wollte ich das Dekanat in den Blick nehmen, Orte und Kirchengemeinden wahrnehmen, mit Menschen ins Gespräch kommen, geistliche Gemeinschaft üben“, erklärt die Theologin die Idee zur Tour durch den Kreis, der fast deckungsgleich mit dem Dekanat ist. 180 Kilometer legte sie zusammen mit ihrem DekanatPW20KreuzArnstein HofsttterEhemann Pfarrer Armin Himmighofen zurück: Von Kaub über Lahnstein, lahnaufwärts übers Kloster Arnstein bis Diez, entlang der Aar über den Einrich zum Kloster Schönau in Strüth zurück zum Ausgangspunkt.

Wie gewinnen wir Mut und Hoffnung?

Neben organisatorischen Fragen wie der Suche nach Übernachtungsplätzenn an den Etappenzielen, bewegte die Theologin noch weitaus mehr die geistliche Gestaltung der Tage. „Wie gewinnen wir Hoffnung und Mut nach so viel Verunsicherung? Die Frage hat mich als Dekanin und als Christenfrau in den vergangenen Wochen und Monaten stark bewegt. Der Pilgerweg konnte nur gelingen, wenn Menschen sich einlassen und einladen lassen würden.“ Und es fanden sich mehr Personen als erwartet, die das taten und mitgingen nicht nur im Schweigen. „Es war bewegend, ganz einfach miteinander zu beten, zu singen, Abendmahl zu feiern. Heitere Körperübungs-Einheiten auf der Wiese, Mahlzeiten unter freiem Himmel, Laufen durch Regen haben uns miteinander verbunden. Ganz passend hielten wir es in diesen Tagen mit dem Pilger-Du. Wir waren geschwisterlich.“

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Gute Gemeinschaft starker Menschen

Eine Erfahrung, die auch die Mitpilgernden begeisterten. „Der Tag hat mir DekanatPW20Kaub Uli Schneidersehr gut gefallen, vor allen Dingen die gute Harmonie und gegenseitige Rücksichtnahme in der Gruppe“, erzählt Werner Großheim von der Etappe von Eschbach nach Lahnstein. „Ich bin ohnehin gerne in der Natur und wollte einmal die Verpflichtungen und Termine beiseiteschieben und einen Tag für mich haben“. Die Tour war für ihn ein kleiner Anfang für seine Vision, im Ruhestand den Jakobsweg gehen zu wollen. Als einen ihr „immer in positiver Erinnerung bleibenden Pilgertag“ bezeichnet Ulrike Oetz die Strecke zwischen Lahnstein und Nassau. Sie sei sehr dankbar für die „wunderbaren, interessanten und auf ihre jeweils eigene Weise „starken" Menschen“, denen sie dabei begegnen durfte.

Die wundervollen Fotos von Karl Hofstätter, die er von der Etappe mitgebracht hat, sprechen eigentlich für sich. „Wir durften eine erlebnisreiche Pilgertour mit der ,taffen´ Dekanin Renate Weigel von Nassau zum Kloster Arnstein erleben“, berichtet der erfahrene Pilger und leidenschaftliche Fotograf. Weil aufgrund von Corona die von ihm geplanten Touren durch Spanien und Frankreich gestrichen wurden, war er richtig auf Entzug. Da kam ihm das Angebot der Dekanin gerade recht. „Unvergesslich der Empfang der griechisch-orthodoxen Nonnen mit viel Zeit für unserer Fragen und der etwas befremdlichen, aber beeindruckenden Abendmesse.“

Neue Wirkung des Abendmahls

DekanatPW20RastAbendmahl Grossheim„Na, wenn schon an der Stiftskirche ein Pilgerweg beginnt, muss man doch dabei sein“, sagt Christian Fuchs aus Diez am Etappenziel in Burgschwalbach. Dem Mitglied der Pilgergruppe der evangelischen Stiftskirchengemeinde, die gerade dabei ist, durch Frankreich mit den „Füßen zu beten“, kam die kleine Tour von Diez nach Burgschwalbach zunächst läppisch vor. „Aber das war auch nicht ohne und hat Spaß gemacht, zumal die Gruppe sehr harmonisch war“, so der erfahrene Pilger. Und Marion Adelmann aus PWDekanat Burgschwalbach becrima Netzbach betont: „Pilgern hat weniger mit dem Weg zu tun als mit der inneren Einstellung, mit der man sich auf den Weg macht“. Auch das ihr aus der Kirche vertraute Abendmahl hatte unter freiem Himmel an der Rundkirche in Oberneisen in dieser besonderen Atmosphäre eine einmalige Wirkung auf sie.

Ähnlich ging es Doris Evers aus Gründau in Hessen. Sie beschritt den Pilgerweg entlang der Aar, weil sie an der Tür der Markuskirche in Braubach ein Plakat gesehen hatte und die neue Heimat ihrer in den Rhein-Lahn-Kreis verheirateten Tochter etwas kennen lernen wollte. Zu den geografischen Eindrücken kamen nun noch die spirituellen hinzu. Oder wie es Christian Fuchs einem Passanten erklärte, der fragte, zu welchem Wanderverein sie gehören: „Wir pilgern, das ist ein religiöses Wandern“.

Menschen wollen Kirche

a PWDekanatAnsteigGeschafft FotoOetzTrotz eines schon nach der ersten Etappe von Kaub nach Gemmerich lädierten und schmerzhaften Fußzehs, ist auch Dekanin Weigel über das gemeinsame Durchhalten und die eigenen Erfahrungen und die der Mitpilgernden und deren Reaktionen sehr froh, dankbar und glücklich. „Ich habe gelernt: Menschen wollen Kirche. Sie fragen nach Kirche. Sie erwarten von uns in den Gemeinden, dass wir geistliche Impulse und Nahrung anbieten. Sie ärgern sich, wenn sie denken, wir machen nichts.“ Es sei wichtig, Begegnungsräume zu schaffen. Kirche solle „zum Anfassen“ sein. Und dabei dürfe sie sich auch ändern. „Ich habe tatsächlich niemanden gehört, der oder die sich nach zweistündigen Gottesdiensten in Kirchenräumen mit ausgiebiger Liturgie und langer Predigt sehnt.“ Kurze Gottesdienste in Corona-Zeiten unter freiem Himmel erfreuten und würden neue und auch jüngere Teilnehmende locken. „Strukturelle Veränderungen in Kirche waren kein Thema. Die Frage ist, ob Kirche lebt“, fasst die Theologin die vielen Gespräche entlang des Weges zusammen. Ihr Fazit: „Das alles hat erfüllt, erfreut, gesättigt“.

Außergewöhnliches Abendmahl

Beim täglichen Abendmahl zeigte sich die Pilgergruppe erfinderisch. Coronagerecht hatten Mitpilgernde ihr eigenes Stück Brot im Rucksack. Eine Weinflasche hatten die Kirchengemeinden am Startort bereitgestellt. Als Kelch diente dann schon mal der Schraubverschluss einer Flasche oder deren mit dem Taschenmesser abgeschnittener Boden.

Kostbare Zufallsentdeckungen

PWDekanat Kleine WunderAmWegStarkeNatur FotoOetzZu den Kostbarkeiten entlang des Weges gehörten nicht nur Blicke in eine wunderschöne Landschaft, sondern auch Zufallsentdeckungen wie die Gedichte, die sich in Netzbach aus einem Briefkasten ziehen lassen. In Eschbach traf die Gruppe zufällig die Försterin, die über Dürre, Borkenkäferbefall und Klimawandel aufklärte. Am anderen Ort kam die Geschichte einer Bauersfamilie zu Gehör, die im Krieg eine jüdische Familie versteckte; und dass es in Lahnstein eine Jerusalem-Apotheke gibt, war auch vielen unbekannt.

Offene Kirchen und Musik

Viele Kirchen entlang der Route wurden den Pilgern geöffnet, die auf evangelischer Seite oftmals – nicht nur aufgrund von Corona – verschlossen sind. Neben der Gastfreundschaft, die sie im Kloster Arnstein bei den griechisch-orthodoxen Schwestern und im Kloster Schönau bei den katholischen Geschwistern erlebten, gab es auch musikalische Einlagen: Andreas Becker spielte Saxophon in Rettert; Odelia Lazar und Michael Wienecke sangen und spielten im Strüther Kloster. (bcm)

Zu den Fotos

Viele kleine Wunder gab es unterwegs zu entdecken, kleine Pflanzen, die nur im Gehen wahrzunehmen sind, aber auch Entdeckungen in der Gemeinschaft und den Menschen selbst, angeregt durch biblische Verse. Dekanin Renate Weigel bot viele geistliche Impulse während des Plgerwegs und tauschte sich anhand eines Tagesverses aus der Bibel mit der Pilgergruppe im wahrsten Sinn über Gott und die Welt sowie Kirche aus. Jeden Tag wurde Abendmahl an unterschiedlichen Plätzen in der Natur gefeiert. Die Tour zeigte zudem, wie schön, kostbar und bewahrenswert die Landschaft des Rhein-Lahn-Kreises ist. Tolle Höhen, Täler und Weitblicke – das Pilgern durch das Dekanat Nassauer Land lenkte den Blick auf dessen natürliche Schönheit und Schritt für Schritt auf die eigenen Stärken, Schwächen und Wünsche. (Fotos: Großheim, Hofstätter, Kniese, Matern, Oetz, Schneider)