Berlin 2014 Mauerschloesser becrima

Dankbar bleiben für Demokratie, Einheit und Freiheit

Tag der Deutschen Einheit und Erntedankfest: Bedeutung der Feiertage nicht verblassen lassen

Berlin ReichstagFlagge becrima  BERLIN/RHEIN-LAHN. (3. Oktober 2025) Der heutige 3. Oktober, der per Gesetz als Tag der Deutschen Einheit an den 1990 unterzeichneten Einigungsvertrag erinnert, könnte eine gute Gelegenheit sein, noch vor dem Erntedankfest am kommenden Sonntag einmal ans Danken zu denken. Doch wie mit manch religiösem Feiertag nimmt auch das Interesse für den Ursprung staatlicher Feiertage ab. Hauptsache frei, um das verlängerte Wochenende vielleicht in der Ferne zu verbringen. Andere Menschen nutzen ihre Freiheit auch gerne einmal, um vom behaglichen Zuhause aus über asoziale Netzwerke Streit und Hass zu verbreiten, das Recht gönnen sie sich. „Einigkeit und Recht und Freiheit“ lautet der Titel der deutschen Nationalhymne. Es scheint, als käme die Einigkeit in unserer Gesellschaft etwas unter die Räder, je mehr Menschen vor allem ihre eigenen Freiheiten und Rechte laustark einklagen statt nach Gemeinschaft zu fragen. 

Dia0053 IMG Berlin Mauer 1960 er W MaternFür Menschen, die sowohl die Zeit vor der „Wende“ als auch den Mauerfall selbst miterlebt haben, ist die derzeitige Spaltung in der deutschen Gesellschaft, die sich politisch nach 36 Jahren sogar wieder deutlich in eine ost- und eine westdeutsche Haltung einfärben lässt, eine unbegreifliche Entwicklung. Es mag zwar nachvollziehbare Gründe dafür geben; eine Verklärung der Diktatur, unter der die Menschen in der DDR litten, rechtfertigt das niemals. Und um diese Sehnsucht nach Freiheit ging es, die am 9. November 1989 erfüllt wurde, als sich Ost- und Westdeutsche in den Armen lagen; ganz sicher nicht um „blühende Landschaften“, um die sich heute viele Bürgerinnen und Bürger, zu recht oder unrecht betrogen fühlen.

BerlinBernauerKapelleDerVershnung01 2019 co becrima Ein verlängertes Wochenende wie das jetzige etwa zum Reisen zu nutzen, war für die meisten Menschen in der DDR alles andere als selbstverständlich. Schlimmer noch: Familien waren über Jahrzehnte durch eine unüberwindbare Mauer getrennt; das Verlassen des Landes, um in Freiheit zu leben, nur unter Todesgefahr möglich. Dass sich Betroffene und Zeitzeugen noch bis an ihr Lebensende an diese Unrechtsverhältnisse erinnern, steht außer Frage. Wünschenswert wäre zum 35. Jahrestag der Vollendung der Wiedervereinigung, wenn sich auch deren Nachkommen und andere Menschen ihrer Freiheit bewusst würden, die das Gegenteil nicht bitter durchlebten. Ist der Wunsch, dass die Menschheit eines Tages vom Leiden der Vergesslichkeit geheilt wird, nur ein frommer?

BerlinGedenkenReichstag 150514 becrima Die Begeisterung und die Dankbarkeit, die den Fall der Mauer begleiteten, verblassen von Jahr zu Jahr. Dabei zeigen die Nachrichten von den Kriegen und Auseinandersetzungen in aller Welt, seit 2022 sogar wieder in Europa, tagtäglich, wie wenig selbstverständlich ein Leben in Frieden und Freiheit mit demokratischen Grundsätzen ist. Womit haben wir das eigentlich verdient, in einem Rechtsstaat zu leben und unsere Meinung und unseren Unmut so frei äußern zu dürfen? Stattdessen werden von Jahr zu Jahr bei sinkender Wahlbeteiligung die Stimmen nach antidemokratischen (An-)führern immer lauter, während sich Milliarden von Menschen nach einem demokratischen System wie dem unsrigen sehnen, denen dieser Luxus verwehrt bleibt. Politik und Politiker schlecht zu reden, macht Mode und ist diesseits wie jenseits der ehemaligen Mauer längst zum medialen Volkssport geworden. Das ist ja auch bedeutend bequemer als mitzumachen und Politik nach eigenen Vorstellungen besser zu gestalten.

Es würde Gesellschaft und Gemeinschaft gut tun, sich an dem heute christlichen Erntedankfest eine Scheibe abzuschneiden und sich nicht nur dankbar fürs regelmäßige Essen und Trinken zu zeigen, das weltweit immer noch ein Privileg darstellt. Für den Zusammenhalt und die Zukunft Deutschlands wäre noch wichtiger, sich des politischen Systems bewusst zu werden, in dem deutsche Bürgerinnen und Bürger in Ost, West, Nord und Süd leben dürfen. Dabei mag es zweitrangig sein, ob es eine Dankbarkeit gegenüber Gott ist, wie Christen sie empfinden, oder eine Dankbarkeit gegenüber dem Schicksal oder den Vorfahren, die mit ihrem politischen Einsatz unter Gefahr von Leib und Leben für die Gemeinschaft und die Freiheit die Deutsche Einheit erst ermöglicht haben. In einer Demokratie kann Politik nur gelingen, wenn sie nicht als „die da oben“ gedeutet wird, sondern als res publica, die Sache aller Menschen. Dafür liefern vielleicht sowohl der Tag der Deutschen Einheit als auch das Erntedankfest gute Denkanstöße. Bernd-Christoph Matern

Zu den Fotos:

In Berlin wird an vielen Orten an die Schrecken des Kalten Krieges, die unmenschliche Mauer mitten durch Stadt und Familien sowie an die Sehnsucht nach Einheit erinnert. So etwa an der Versöhnungskirche an der Bernauer Straße, die die Mauer trennte, in unmittelbarer Nähe des Abgeordnetenhauses sowie an Mauerresten. Doch in den Köpfen von immer mehr Menschen verblassen die Erinnerungen. Sie lassen sich lieber von Algorithmen und Emotionen lenken als von Informationen und Geschichte. Fotos: Matern