
Erinnerung verpflichtet zu Respekt und Menschlichkeit
Ökumenisches Gedenken erinnerte in Bad Ems mit Schulen und Musik an Jahrestag der Pogromnacht
BAD EMS/RHEIN-LAHN. (11. November 2025) „Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist.“ Mit diesem Bibelzitat eröffnete Antje Müller, Ökumene-Pfarrerin des evangelischen Dekanats Nassauer Land, das diesjährige ökumenische Gedenken an die Pogromnacht am 9. November 1938. „Wenn sich Menschen daran hielten, gebe es keine Kriege mehr und wir müssten heute nicht an den millionenfachen Völkermord an Juden erinnern“, so die Theologin. Mit Blick auf aktuelle Entwicklungen stellte Elisabeth Adam von der katholischen Kirchengemeinde fest: „Das ,Nie wieder!´ gerät zunehmend ins Wanken.“
Im Mittelpunkt des Gedenkens stand das Schicksal der Bad Emser Familie Bernstein, die von Abraham Mordge abstammen. Die nüchterne Darstellung von Schülerinnen und Schülern des Goethe-Gymnasiums und der Realschule plus aus Bad Ems zur Familien-Historie verdeutlichte den Irrsinn der Entwicklung. Eine von den Nazis aufgeheizte und Hass erfüllte Stimmung führte zu den Gräueltaten gegen Menschen aus der Nachbarschaft. Dabei betrieben die Bernsteins Ende des 19. Jahrhunderts ein angesehenes Gasthaus, den Niederländischen Hof. „Das Zusammenleben war problemlos und sogar ausgesprochen freundlich“, zitierten die Schüler aus Aufzeichnungen. Dokumente belegten zudem die Bedeutung der Familie für die Kurstadt etwa als Ladenbetreiber und Bäckereibesitzer. Die friedliche Gemeinschaft beendeten die Nazis heißt es in einem Bericht der Bad Emser Künstlerin Lies Ebinger, die den Gewaltausbruch der Pogromnacht miterlebt hatte.
„Aus Diskriminierung wurde offener Terror. Aus Worten wurde Gewalt“, begann der Bad Emser Stadtbürgermeister Oliver Krügel die Erinnerungen an den Gewaltausbruch gegen die Mitbürger jüdischen Glaubens. Dabei nannte er die Verwüstung der Synagoge und des Altenheims, wo etwa 80 alte und hilflose Menschen in den Keller getrieben und eingesperrt wurden. Die Ereignisse seien eine tiefe Wunde in der Stadtgeschichte, „ein Mahnmal dafür, wie rasch Mitmenschlichkeit verloren gehen kann, wenn Hass und Gleichgültigkeit Raum gewinnen.“ Das „Nie wieder!“ sei kein Satz der Vergangenheit, sondern bedeute aufzustehen gegen Ausgrenzung, Hass und Gewalt wandte er auch den Blick in Gegenwart und Zukunft.. Für Bad Ems bedeute das, die Geschichte sichtbar zu machen, wachsam gegen Hetze zu sein und für die Würde des Menschen einzutreten. „Unsere Stadt lebt von Vielfalt, Herkunft, Religion, Lebensweise – all das bereichert uns“, so der Stadtchef. „Lassen Sie uns zeigen, dass Bad Ems ein Ort ist, an dem Mitmenschlichkeit und Respekt stärker sind als Hass und Spaltung.“
Gisela Bertram erinnerte im Namen von Kreis und Verbandsgemeinde, wie es überhaupt zum Holocaust kam, auch an die „Rassen“-Gesetze, die Kindern den Schulbesuch verwehrte, an die Organisation der systematischen Judenvernichtung, die etwa im nahe gelegenen Hadamar dokumentiert ist, wo auch Menschen aus dem Nassauer Land vergast, deportiert und tot gespritzt wurden. Wenn Ausgrenzung mit Gleichgültigkeit begegnet werde, dann gebe es bald keine Demokratie mehr, warnte Bertram. „Lassen sie uns aus dieser Veranstaltung rausgehen und Haltung zeigen“.
54 Opfernamen verlasen Antje Müller, die Jugendlichen sowie Ralf Skähr-Zöller und David Schmidl. Das Licht der Kerzen stehe nicht nur für Trauer, sondern erinnere auch daran, wie hell es hätte leuchten können, wenn es die Ermordeten hätten weitergeben können, so Schmidl.
Dass mit dem 7. Oktober 2023 Israel durch die Hamas den größten Massenmord an Jüdinnen und Juden seit der Shoah erlebte, betonte Lothar Knothe, der zusammen mit Wolfgang Elias Dorr als jüdische Vertreter das Gedenken mit gestalteten. 1200 Menschen wurden brutal ermordet, 250 Israelis, darunter Frauen, Kinder und alte Menschen, verschleppt. „Das war ein Schock, der alte Wunden aufriss“, so Knothe. Hass müssten jüdische Menschen wieder in einem Land ertragen, das ein
„Nie wieder" beteuert. Kinder in Kitas und Schulen würden wieder bedroht. Wenn Jüdinnen und Juden wieder Angst haben müssten, sei das wie ein Fieberthermometer für eine krankende Gesellschaft. „Möge das Licht der Kerzen ein Zeichen sein, dass Mitgefühl stärker ist als Hass.“
Das Vater Unser in der Sprache Jesu und in Deutsch sowie der aaronitische Segen in Hebräisch und Deutsch beendeten das ökumenische Gedenken. Für eine passende musikalische Gestaltung sorgte zum Einen Hannelore Syre am Keyboard, die „Ma Towu“, ein Lied über die Ehrfurcht vor Synagogen und anderen Kultstätten spielte oder auch „S’brent" des jüdischen Poeten Mordechaj Gebirtig. Das Ensemble „Konfido“ steuerte toll interpretiert zu Herzen gehende Lieder wie das hebräische Friedenslied „Lo Yisa Goy“ oder „Bridge of Light“ bei. Bernd-Christoph Matern
Zu den Fotos:
Ein bewegendes ökumenisches Gedenken erlebten die Menschen in der Bad Emser Brunnenhalle, das an die Ereignisse vom 10. November 1938 in der Kurstadt erinnerte und an die Konsequenzen fürs heutige gesellschaftliche Miteinander. Fotos: Matern
