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Kindheit und Sinn-Suche verbindet Journalistin und Nonne

Ilka Piepgras sorgt mit Lesung und Fragen zu erfüllenden Lebensentwürfen für vollen Pilgersaal im Kloster Arnstein

KLOSTER ARNSTEIN/RHEIN-LAHN. (20. Juli 2023) Was haben eine Nonne und eine Journalistin gemeinsam? Wie eine Lesung im Kloster Arnstein zeigte, zu der das Ökumene-Pfarramt des evangelischen Dekanats Nassauer Land eingeladen hatte, mehr als man zunächst glauben mag. Im konkreten Fall zumindest einmal Kinder- und Jugendjahre. Die Berliner Autorin Ilka Piepgras rezitierte aus ihrem Buch „Meine Freundin, die Nonne“. Damit sorgte sie zusammen mit ihrer Freundin aus Jugendtagen, der heutigen Äbtissin Diodora für einen vollen Pilgersaal des Klosters, das nun dem Heiligen Dionysios Trikkis und Stagon geweiht ist.

LesungFreundin110723SaalVH1 becrima Wie sich die Beiden als Zehnjährige in der Schule im saarländischen Homburg kennen lernten, daran erinnert Ökumene-Pfarrerin Antje Müller zu Beginn. Beide sind damals evangelisch, haben Väter, die Ärzte waren und teilen viele Freizeitfreuden wie Turnen, Schwimmen, Ballett oder Rollschuhfahren, sie tauschen Briefmarken und züchten Meerschweinchen.

Während sich Ilka eher etwas verkopft und steif vorkommt, bewundert sie an ihrer Freundin Charlotte Unbefangenheit, Optimismus und das Selbstvertrauen, das sie ausstrahlt; die spätere Äbtissin erbt von ihren zwei älteren Brüdern perfekt eingetragene Jeans und frisierte Mofas, auf dem sie ihre Freundin abholt, wie Müller berichtet. Nach Schule und Studium beschreiten die beiden ganz unterschiedliche Wege. Ilka zieht es nach München, um politische Wissenschaften zu studieren, dann nach Berlin zum Journalismus. Heute ist sie Redakteurin des Zeit-Magazins, lebt mit katholischem Ehemann und zwei Kindern in Berlin. Ihre Freundin studiert Kunstgeschichte und Bildhauerei, bevor sie während eines Arbeitsstipendiums auf der griechischen Insel Naxos den Archimandrit Dionysios trifft, was ihr Leben radikal verändert. 1988 zieht sie nach Athen, lernt griechisch und studiert noch Theologie und Jura. Mit nur 31 Jahren legt sie 1995 das Ordensgelübde ab, nimmt den Namen Diodora an und wird bald darauf Äbtissin, Gerontissa, also geistliche Mutter verschiedener griechischer Klöster.

LesungFreundin110723TischDiodoraPiepgras becrima Gewinner-Typ ohne Ängste und Zweifel

Für ihre Lesung hat Piepgras Passagen ausgewählt, die ihre Unsicherheit deutlich machen, mit der sie ihrer Freundin im griechischen Kloster nach 20 Jahren wieder begegnet. Misstrauen prägt zunächst den Aufenthalt. „Warum habe ich mich so lange vor einem Wiedersehen gedrückt?“, liest Piepgras. Als Gewinner-Typ hat sie ihre Freundin noch in Erinnerung, die einen sorglosen Alltag ohne Ängste und Zweifel hatte und der die Herzen zuflogen. Aus der Ferne interessierte die Autorin noch Praktisches am Klosterleben. Doch die Würde, mit der ihr die Äbtissin nun begegnet, lässt banale Fragen wie die nach der Kleidung unwichtig werden. „Ich möchte ihr Inneres verstehen.“ Es sind die grundsätzlichen Fragen wie die nach dem Sinn des Lebens, die die Beiden erörtern und die sie auch verbinden mögen. Im Kloster hat die Freundin etwas gefunden, das Wahrheit und Ewigkeit verheißt. „Das relativiert die Notwendigkeit von Materiellem.“ Der Journalistin wird mit der Begegnung noch bewusster, welche Rolle der Nutzeffekt in ihrer Welt und ihrem Beruf hat; der Mensch wird danach betrachtet, was er macht und nicht, was er ist. „An uns beiden wird gezerrt, aber sie scheint damit viel gelassener umzugehen.“ Den Grund macht die Autorin im bedingungslosen Gottvertrauen aus. Das ebenso einfache wie klare Leben und Denken, das ihr dort begegnet, zieht sie an. Die schwarzen Gewänder der Nonnen erscheinen Piepgras demokratischer als jede Schuluniform. Glück ist für die Nonne, Gott am nächsten zu sein. Nicht die Welt zu retten sei ihre Aufgabe, sondern sich selbst zu bessern.

LesungFreundin110723TischDiodoraPiepgrasMueller becrima So viele Menschen sind auf der Suche

Nach der Lesung wird die Äbtissin im Pilgersaal mit Fragen gelöchert. Der katholischen Kirche, insbesondere Weihbischof Löhr ist sie dankbar, dass ihre Gemeinschaft seit 2019 im Kloster Arnstein das geistliche Leben fortführen kann, und die Menschen, die sie dort ungeachtet ihrer Konfession als Besuchende empfangen, bewiesen: „So viele Menschen sind auf der Suche“. Sie selbst war und ist in ihrer Suche nach einem Leben, das sich nach Christus orientiert, damals wie heute ganz klar. Christentum sei Vorleben und keine Ideologie. Vorbilder habe sie damals trotz Suche nicht gefunden, sondern erst in Griechenland in der Begegnung mit Dionysios, dem geistlichen Vater. „Es war Gottes Stimme, die dort zu mir sprach“, erklärt sie den Moment, als ihr bewusst wurde, ihre jungen Jahre nicht länger vergeuden zu wollen.

Tradition ist uns heilig

Die Frage nach der Augenhöhe zwischen Mönchen und Nonnen stellt sich für die Äbtissin ebenso wenig, wie die, ob Frauen nicht der Zugang zum Priesteramt ermöglicht werden sollte. Gottes Geist wirke durch die Apostel wie durch die Schwestern; es gehe um verschiedene Rollen und nicht darum, diese zu bewerten, sagt Diodora. „Tradition ist uns heilig“. An der wolle sie nichts ändern; „es geht darum, was wir an uns ändern.“ Wenn man nach Zeitgeist und politischen Vorstellungen „daran rumschnippelt, wird es schwierig“.

Für Autorin Ilka Piepgras haben die Begegnungen mit ihrer Freundin zur eigenen christlichen Weiterentwicklung beigetragen. „Der Glaube ist entscheidend, nicht die Institution“, erklärt sie im Pilgersaal. Und die Besuche im Kloster empfindet sie dabei als „ein Auffrischen im Glauben“.

Werbung machte Antje Müller noch für ein aktuelleres Buch der Berliner Autorin. Es trägt den Titel „Letzte Reisen“ und beschäftigt sich mit dem Tabuthema Sterben und Sterbebegleitung. Bernd-Christoph Matern

Ilka Piepgras: „Meine Freundin, die Nonne“
Knaur-Taschenbuch 2011
ISBN: 978-3-426-78271-2

Zu den Fotos:

Für einen vollen Pilgersaal im Kloster Arnstein sorgte eine Lesung der Berliner Autorin Ilka Piepgras aus ihrem Buch „Meine Freundin, die Nonne“. Die nahm neben ihr Platz und stellte sich anschließend den Fragen des Publikums. Antje Müller, Pfarrerin für Ökumene im evangelischen Dekanat Nassauer Land, freute sich über das große Interesse. Fotos: Matern