10 Klosterweg becrima

Advent im Nasssauer Land – 10. Tür

RHEIN-LAHN. (10. Dezember 2020) Heute öffnet sich wieder ein Türchen am Adventskalender mit persönlichen Gedanken von Dekanin Renate Weigel:

Und für Elisabeth kam die Zeit, dass sie gebären sollte; und sie gebar einen Sohn. Lukas 1, 57

Alles hat seine Zeit. Jeder Schritt muss gegangen werden. Ich habe nicht den Eindruck, dass es in der Geschichte Gottes eilig zugeht.

Der Anlauf im Lukasevangelium ist beträchtlich: Zuerst tritt Herodes auf, dann werden Elisabeth und Zacharias vorgestellt. Eine Schwangerschaft wird angekündigt und tritt ein. Wir erfahren von Maria.

Ein Kind braucht neun Monate, bis es auf die Welt kommt, das gilt auch für Johannes und Jesus. Dann müssen beide erst einmal heranwachsen.

Die ganze Bibel ist ein ungeheuerliches Zeugnis davon, wie sich Gott in seiner Geschichte mit den Menschen Zeit nimmt und Zeit gibt. Alles dauert seine Zeit: die Schöpfung, die Sklaverei in Ägypten, der Weg aus der Knechtschaft, der Tempelbau, die verschlungenen Wege der Könige und Propheten, die Besatzungszeiten, Exilzeiten, Wiederaufbau-Zeiten.

Vielleicht würde alles schneller gehen, wenn die Menschen nicht immer ungehorsam wären. Gott braucht viel Zeit, um wieder zu recht zu bringen.

Bei einem Gemeindeausflug bin ich spät dran und laufe Richtung Bahnhof. Dort soll sich die Gruppe zur Abfahrt treffen. Unterwegs überhole ich eine ältere Mitarbeiterin, die bedächtig mit ihrem Stock unterwegs ist. „Schaffen Sie es noch rechtzeitig?“ rufe ich ihr zu. „Wir müssen uns beeilen!“ Sie lächelt mich leise an. „Keine Sorge. Ich eile nie.“

Ich treffe atemlos am Bahnhof ein. Sie kommt gelassen an und begrüßt ihre Freundinnen noch, bevor der Zug einfährt.

„Ich eile nie.“ Dieser Mitarbeiterin gedenke ich mit bleibendem Respekt. Mir scheint, sie hat ein Stück Himmel, dem ich hinterher laufe.

Dekanin Renate Weigel