
Von Kommunitäten lernen: Ökumenisch über den eigenen Kirchturm blicken
Pfarrerin Antje Müller schrieb Buch über Faszination und Spiritualität in Ordensgemeinschaften
FRÜCHT/RHEIN-LAHN. (10. März 2020) Weiße schlichte Gewänder, mehrstimmiger Gesang von Männern und Frauen – das alles strahlt Ruhe aus. Dreimal am Tag singen und beten die Brüder und Schwestern der Monastischen Gemeinschaft von Jerusalem (FMJ) öffentlich in der Kirche Groß Sankt Martin in Köln - unweit vom Dom. Das ist nur eine Station vieler, die Früchts Gemeindepfarrerin Antje Müller besucht hat, um ein Buch zu schreiben. Ihr Fazit: Die Kirchengemeinden können einiges von den geistlichen Kommunitäten lernen.
In der Kölner Metropole strahlt die arme Klostergemeinschaft eine Faszination gerade auf moderne Menschen aus: Einheimische aber auch Touristen nutzen gerne das Mittagsgebet in einer der ältesten Kirchen Kölns, um zur Ruhe zu kommen. Manche Gemeinschaften verstehen sich bewusst als „Großstadtmönche oder -nonnen“ und sehen ihren Auftrag darin, „Oasen des Gebets in den Wüsten der Städte“ zu gründen – also bewusst zu den Menschen in die Städte zu gehen, sagt Antje Müller. Die Theologin hat verschiedene geistliche Gemeinschaften in Erfurt, Florenz, Köln, Luzern, Rom, Wien und Würzburg besucht und ihre Erfahrungen niedergeschrieben. Sie war in einer sechs Mönche kleinen WG und auch in einem Kloster mit mehr als 100 Mönchen. Alle zehn Jahre können Pfarrerinnen und Pfarrer drei Monate Studienurlaub nehmen und sich in dieser Zeit einem Thema ihrer Wahl widmen. Pfarrerin Antje Müller (53) hat sich im Rahmen ihres Studienurlaubs mit Klöstern und Kommunitäten als spirituelle Lernorte beschäftigt. Sie wollte wissen, welche Formen von christlichen Gemeinschaften gibt es außerhalb der Ortsgemeinden?
Herausgekommen ist dabei das lesenswerte Buch „Orte des Glaubens jenseits der Ortsgemeinden“. Auf 122 Seiten stellt Antje Müller beispielsweise die Monastische Gemeinschaft von Jerusalem (FMJ) vor, die 1975 in Paris gegründet wurde und in Köln eine Niederlassung hat. Zudem hat sie die heutigen Nachfahren der Augustinermönche, denen Luther einst angehörte, in Erfurt besucht ebenso wie die franziskanisch-dominikanische Gemeinschaft vom Lamm, die erst 1974 entstanden ist, sowie die Gemeinschaft Sant‘ Egidio, die 2018 ihren 50. Geburtstag feiern konnte. Allesamt Gemeinschaften ohne
große Besitztümer. Im Anhang des Buches finden sich Interviews mit Ordensleuten sowie einer evangelischen Pfarrerin, die sich in der Gemeinschaft Sant‘ Egidio in Würzburg engagiert. Menschen, die eine Auszeit brauchen – also mal abtauchen wollen, kann Antje Müller das Kloster sehr empfehlen. Man kann mit den Brüdern und Schwestern reden, sich aussprechen, sich ihnen anvertrauen, denn es gilt die seelsorgliche Schweigepflicht. Man könne die Angebote der Gemeinschaften nutzen oder eben nicht und für sich sein.
Armut und Gütergemeinschaft, Ehelosigkeit und Gehorsam sind die Grundprinzipien klösterlichen Lebens. Auch evangelische Gemeinschaften knüpfen meist an die Traditionen des alten Mönchtums aus Zeiten der ungeteilten Kirche an und haben nicht selten die Benediktsregel übernommen, sagt Antje Müller. Die neuen Ordensgemeinschaften aus den 1970 er Jahren knüpfen wieder an das alte Ideal der Bettelorden an, verzichten auf große Klosterbauten und leben bewusst zur Miete in sozialen Brennpunkten der Städte. Antje Müller hat die Communität Casteller Ring bei Würzburg und die Diakonissen von Riechen bei Basel besucht. Letztgenannte haben wieder Nachwuchs, seitdem sie Gästen einen Ort der Stille und geistliche Begleitung anbieten. Apropos Nachwuchs: „In Köln hat mich überrascht, wie jung die Männer und Frauen sind, die sich für das klösterliche Leben mitten in der Großstadt entschieden haben“, erzählt Müller. Wie bei der Monastischen Gemeinschaft von Jerusalem strahlen die liturgischen Gesängen und die feierlichen Gottesdienste eine Faszination aus, die viele junge Menschen anziehe. Die Gesänge erinnern ein wenig an die orthodoxe Liturgie oder an die Gesänge von Taizé.
Neben der Gastfreundschaft sei die Bereitschaft der Schwestern und Brüder beeindruckend in einfachen Berufen oder in sozialen Brennpunkten der Städte zu arbeiten. So haben die Schwestern und Brüder vom Lamm bewusst das weiße Ordenskleid der Dominikaner gegen jeansfarbene Gewänder, dem Stoff der Arbeiter, eingetauscht.
Das Buch endet mit Hinweisen für die eigene Ortsgemeinde: Die vorgestellten Gemeinschaften haben die Zeichen der Zeit erkannt und wissen, was die Menschen heute brauchen. Es gebe andere Bedürfnisse als vor 50 oder 100 Jahren. Die meisten Menschen hätten materiell alles. Es sei daher kein Zufall, sagt die Pfarrerin, dass eine Gemeinschaft, die auf Spiritualität setzt, Zulauf habe. Man dürfe nicht mehr ortsgemeindlich denken, müsse über den Kirchturm hinausschauen, in die Region, um zu sehen, was heute die Aufgaben und Herausforderungen sind. Dabei spiele die Ökumene eine zunehmend bedeutende Rolle. Holger-Jörn Becker-von Wolf
„Orte des Glaubens jenseits der Ortsgemeinde“ von Antje Müller
Frieling Verlag Berlin 2019
127 Seiten, ISBN 978-3-946467-73-1
Kontakt: Pfarrerin Antje Müller, Schweizertalstraße 6, 56132 Frücht Telefon 0160 / 6368503 E-Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Zu den Fotos:
Weiße schlichte Gewänder, mehrstimmiger Gesang von Männern und Frauen – das alles strahlt Ruhe aus. Dreimal am Tag singen und beten die Brüder und Schwestern der Monastischen Gemeinschaft von Jerusalem (FMJ) öffentlich in der Kirche Groß Sankt Martin in Köln - unweit vom Dom. Pfarrerin Antje hat ein Buch über die Faszination und Spiritualität in Ordensgemeinschaften geschrieben. Sie besuchte auch die „Franziskanische Gemeinschaft von Betanien“ in Aschaffenburg: Bruder Alberto (rechts) ist der Guardian (Prior). Er ist Priester und Theologe. Fotos: Müller/Matern

Buchmesse: Emotionen für Demokratie entdecken
Kirchenpräsident Jung warnt in Frankfurt vor Verletzung des Urheberrechts durch Künstliche Intelligenz
FRANKFURT/RHEIN-LAHN. (18. Oktober 2024) Die Frankfurter Buchmesse ist ab heute Mittag noch bis Sonntag für alle Interessierten geöffnet. Während seines traditionellen Rundgangs auf der weltgrößten Literaturschau hat der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Volker Jung die Bedeutung des Lesens betont. Lob fand er für die Buch-Sparte New-adult. Dabei handelt es sich um Romane und Inhalte, die sich mit der Lebensphase junger Erwachsener beschäftigen und dabei auch sehr gefühlsbetont daherkommen. Es sei wichtig, dass junge Menschen lesen und so in andere Welten eintauchen könnten. „Diese Erfahrung ist grundlegend“, sagte Jung, der im Rat der EKD Beauftragter für Medien ist.
Gleichzeitig kritisierte Jung, wenn durch Künstliche Intelligenz (KI) Urheberrechte verletzt werden und sprach sich für eine klare Kennzeichnung und Vergütung der Autorinnen und Autoren aus, die zu solchen Zwecken genutzt werden. Über Urheberrecht und Kü
nstliche Intelligenz wurde auch im Rahmenprogramm der Messe immer wieder diskutiert. Ansonsten standen natürlich aktuelle Neuerscheinungen im Mittelpunkt; dabei ging es auch um eine Vielzahl von Büchern, die sich mit der Frage beschäftigten, wie die Spaltung in der Gesellschaft gestoppt und die Demokratie gestärkt werden kann. Beispiel: Ein Gespräch auf der Literaturbühne von ARD, ZDF und 3Sat von Jagoda Marinić mit Soziologin Eva Illouz und Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann über den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Illouz macht in ihrem Buch „Explosive Moderne“ (Suhrkamp), deutlich, dass Gefühle keine Privatsache sind, sondern vielmehr eng verwoben sind mit der Haltung zu gesellschaftlichen Fragen und politischen Entscheidungen. Und Assmann spricht mit ihrem Buch „Gemeinsinn – der sechste soziale Sinn“ (C.H. Beck) vielen Menschen aus dem Herzen, wenn sie sich Emotionen für die Demokratie und ein Scheitern des Polarisierens wünscht.
Anselm Grüns und Margot Käßmanns Werke dürfen nicht fehlen. In einer Welt voller Schreckensmeldungen macht die pensionierte Theologin in ihrem Buch „Farbe der Hoffnung“ Mut, die Hoffnung zu bewahren auf Gerechtigkeit, auf Versöhnung, auf Frieden, auf Liebe, Glück, Trost – auf eine gute Zukunft. Dabei weiß sie um die Kraft des Glaubens, die Kraft der Liebe und des Hoffens und sagt: „Für mich ist der christliche Glaube ein entscheidender Lebensanker.“ Christliches findet sich aber nicht nur bei christlichen Verlagen. Denn ungebrochen groß ist die Auswahl an Büchern in fester Hülle und in Fülle, die sich mit dem Sinn des Lebens befassen und Gedanken zu Friede, Gerechtigkeit und Glück in die Welt tragen – allesamt zutiefst religiöse Themen.

Einem Thema, das konkret immer mehr und insgesamt alle Menschen betrifft, hat Elke Heidenreich ihr neuestes Buch gewidmet mit dem Titel „Altern“ (Hanser). Angst haben müsse man davor nicht, sagt die 81-Jährige in ihrem Gespräch mit der Publizistin Eva Demski. Im Gegenteil: Beide empfinden Dankbarkeit für alles, was sie noch tun können, und wenn es nur die Reise durchs eigene Wohnzimmer ist, so Demski. „Der Tod findet uns schon“, stellt Heidenreich nüchtern fest.
Wer auf die großen TV-Stars steht; Zwei sind mindestens vertreten, sowohl mit gedruckten Gedanken und Bildern als auch in Person wie Entertainer Thomas Gottschalk oder Rockstar Peter Maffay. (bcm)
Hier gibt es die Tickets.
Zu den Fotos:
Die Frankfurter Buchmesse ist von heute bis Sonntag geöffnet. Die Auswahl an Büchern in fester Hülle und in Fülle ist groß, die sich mit dem Sinn des Lebens befassen und Gedanken zu Friede, Gerechtigkeit und Glück in die Welt tragen – nicht nur bei christlichen Buchverlagen. Fotos: Bernd-Christoph Matern/Volker Rahn