
Ausgerechnet jetzt: Barmherzigkeit
Ulrike Scherf schreibt, warum die Jahreslosung 2021 in der aktuellen Lage Zumutung und Zuspruch ist
DARMSTADT/RHEIN-LAHN. (1. Januar 2021) In ihrer Neujahrsbotschaft plädiert die Stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf für gegenseitige Fehlertoleranz und Geduld sowie für Mitgefühl, Schutz vor Ungerechtigkeit und Abschied von Perfektionismus, kurz: Barmherzigkeit. Scherf schreibt, in der Pandemie-bedingten Erschöpfung werde der Umgangston rauer. Umso gewichtiger sei, was die Jahreslosung für 2021 anspreche. Sie zitiert das Jesuswort: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Lukas-Evangelium 6, Vers 36). Scherf schreibt, die Jahreslosung spreche die Barmherzigkeit Gottes zu und ermuntere selbst barmherzig zu sein – auch gegenüber sich selbst. Damit sei die Jahreslosung eine große Ermutigung und zugleich eine erhebliche Zumutung.
Die Jahreslosung spreche, so schreibt Scherf, mitten hinein in die Sorgen derer, die nun ohne Einnahmen dastehen, in die nervlichen Belastungen des Homeoffice und Homeschooling sowie in die Erschöpfung der Pflegenden und Betreuenden. Ausgerechnet jetzt barmherzig? Dazu Scherf schreibt wörtlich: „Wenn nicht jetzt, wann dann! Denn gerade jetzt spüren wir Unbarmherzigkeit: gegenüber denen, die in der Politik oder Medizin einen Weg durch die Krise suchen, gegenüber denen, die die Regeln scheinbar zu ernst oder zu locker nehmen… Gesellschaftliche Spaltungen werden sichtbarer und vergrößern sich, der Ton wird rauer.“
Barmherzigkeit, so schreibt Scherf, sei mehr als Fürsorge für Arme und Bedürftige. Dazu zählten auch Geduld, Mitgefühl und ein behutsamer Umgang sowie Schutz vor ungerechtem Verhalten und verletzenden Urteilen. Barmherzigkeit könne auch Fehlertoleranz und Abschied von manchem Perfektionismus bedeuten Die Jahreslosung erinnere daran, schreibt Scherf, dass Gott Barmherzigkeit schenke – „großzügig, verzeihend, geduldig“. Das ermutige, selbst barmherzig zu sein. „Gerade jetzt. Auch mir selbst gegenüber.“
Hier die Neujahrsbotschaft von Ulrike Scherf im Wortlaut:
Die Jahreslosung ist ansprechend, aber zugleich eine Zumutung. Sie mutet uns etwas zu. Sie fordert zur Barmherzigkeit auf. Ausgerechnet jetzt. Fast ein ganzes Jahr mit Corona liegt hinter uns. Die Sorge vor dem Virus und dazu viele andere Sorgen und Nöte: Die Perspektiven sind nicht rosig für die, deren Einnahmen mit dem ersten Lockdown weggefallen sind und seitdem nicht wiedergekommen sind. Die Nerven liegen blank bei denen, die Homeoffice, Homeschooling und Kinderbetreuung unter einen Hut bringen müssen. Kaum zu beschreibende Erschöpfung bei denen, die bis zum Umfallen arbeiten müssen, die pflegen und betreuen. Ausgerechnet jetzt: seid barmherzig!
Ja, ausgerechnet jetzt. Vielleicht sogar: wenn nicht jetzt, wann dann! Denn gerade jetzt spüren wir Unbarmherzigkeit: gegenüber denen, die in der Politik oder Medizin einen Weg durch die Krise suchen, gegenüber denen, die die Regeln scheinbar zu ernst oder zu locker nehmen. Gegenüber denen, die so viel zu tun haben – auch aufgrund von Corona – und gegenüber denen, die wegen Corona nichts zu tun haben und abgehängt werden. Gesellschaftliche Spaltungen werden sichtbarer und vergrößern sich, der Ton wird rauer.
Gerade jetzt werden wir ermutigt, barmherzig durchs Leben zu gehen.
Barmherzigkeit. Darin klingt Fürsorge für Arme und Bedürftige an, für Menschen, die Mitgefühl brauchen. Behutsamer Umgang mit allem, was mir anvertraut ist. Nöte beseitigen, andere vor ungerechtem Verhalten und verletzenden Urteilen schützen.
Übersetzt könnte Barmherzigkeit auch Fehlertoleranz bedeuten: Fehler nicht zu suchen und an den Pranger zu stellen, sondern kreativ und gemeinsam nach neuen Lösungen zu suchen. Barmherzigkeit könnte auch bedeuten, sich von manchem Perfektionismus zu verabschieden. Oder solidarisch zu sein gerade gegenüber denen, die sonst nicht im Blick sind. Barmherzigkeit heißt wohl auch Geduld.
Wie gut, dass uns die Jahreslosung daran erinnert: Gott schenkt uns Barmherzigkeit. Gott sucht nicht nach Fehlern, sondern sieht uns barmherzig an. Großzügig, verzeihend, geduldig.
Das ermutigt, barmherzig zu sein. Gerade jetzt. Auch mir selbst gegenüber.
Ein gutes, gesegnetes und barmherziges Jahr 2021!
Ihre Ulrike Scherf
Pfarrerin Ulrike Scherf ist Stellvertretende Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN)
Foto: EKHN/Neetz

Zur Passion: Ein Wolkenwunder im Park der Stiftung Scheuern
An jeder Station können Gedanken auf die Reise gehen oder aufgeschrieben werden
NASSAU. (11. März 2021) Im Mühlbachpark rund um die Festwiese der Stiftung Scheuern im Nassauer Stadtteil Scheuern lädt noch bis nach Ostern ein Passions- und Osterweg „Das Wolkenwunder“ zum Inspiriert-Werden, Verweilen, Staunen und oder Nachdenken ein.
Der Weg beginnt gegenüber des Versammlungsraums, geht entlang der Festwiese zum Fischteich und endet bei der Grillhütte. Das ist am Beginn des Weges erklärt zusammen mit einem Text von Franziska Klepper, Mitarbeitende der Stiftung Scheuern mit Schwerpunkt Diakonisches Profil, die auch ihre Fotos dafür zur Verfügung gestellt hat. Den Weg können alle Menschen bei jedem Wetter nutzen, er ist ebenerdig. Man kann sich die Bilder unter dem christlichen Aspekt von Palmsonntag über die Karwoche bis Ostersonntag anschauen, man kann aber auch einfach die Wolken zu sich sprechen lassen, sich selbst seine Gedanken über das Oben und das Unten machen. Jedermann ist herzlich eingeladen, sich inspirieren zu lassen.
Wer möchte, kann an jeder Station an seinen Ideen und Gedanken aufschreiben. Dafür gibt es kleine Kistchen mit Schreibmaterial und daneben eine Kiste für die Antworten. Die Initiatoren des Wegs sind schon neugierig auf die vielen Deutungsmöglichkeiten ihres Wolkenwunder-Wegs. Ganz gleich, ob der oder die auf dem Weg Wandelnde nun seine Gedanken aufschreibt oder sie für sich behält, jeder ist gebeten zum Schutze aller auf dem Gelände FFP2-Masken zu tragen.
Das schreibt Franziska Klepper über Wolken:
Das Wolken-Wunder
Wolken sind wunderbar. Sie erinnern uns daran, dass auf unserer Erde Kreisläufe bestehen, die uns am Leben erhalten: Winzige Wassertropfen steigen zum Himmel, wenn die Lufttemperatur oder der Wind sich ändern. Auf einmal bilden sich Wolken, die auch unsere Fantasie anregen können.
Was sehen wir, wenn wir Wolken sehen?
Sehen wir einfach nur Wasserdampf, oder könnte da auch noch etwas Anderes sein? Könnten dort auch Engel wohnen oder Menschen, die wir vermissen? Oder ist in den Wolken und in den Dimensionen dahinter ein göttlicher Kraftort?
Zur Passions- und Osterzeit laden wir Sie ein, über diese Dinge nachzudenken. Wir ermutigen Sie, mit den Wolken, die Sie auf dem Stiftungsgelände sehen, quasi auf Reisen zu gehen: zu beobachten, zu fragen, zu träumen und sich auszutauschen.
So wird es Frühling und auch Ostern. Auch dann, wenn sich dieses Jahr vieles verändert hat und manches stark eingeschränkt ist, bleibt uns diese Zeit der Vorfreude.
Die Wolken, die wir immer sehen können, wenn wir in den Himmel schauen, begleiten uns nicht nur zu Ostern. Aber gerade in diesen Wochen können sie uns an etwas Besonderes erinnern: an die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus. Franziska Klepper
Nachfolgend lesen Sie eine von abertausenden Möglichkeiten, wie man als Christ die Wolkenbilder deuten kann. Es ist wichtig zu wissen, dass trotz dieses veröffentlichten Vorschlags jeder Mensch, auch jeder Christ, diesen Weg mit eigenen Augen sieht und seine eigenen Assoziationen hat.
Von himmelhoch jauchzend, über das Tal des Jammers zurück ans Licht
Der Weg verdeutlicht die Karwoche: Er beginnt am Palmsonntag. Man sieht einen Weg, der geht gut sichtbar gerade aus. Es gibt Pfützen, darin spiegelt sich der Himmel, der noch weitgehend blau ist und nur ein paar Wolken hat. Oben und unten hängen eng zusammen. In dem, was unten ist, sieht man das, was oben ist. Das Motiv des Spiegelns wird uns später noch öfter begegnen. Palmsonntag: es geht los. Jesus beschreitet seinen Weg. Viele Menschen freuen sich und jubeln ihm zu, sie denken, der Messias kommt für sie. Deswegen blauer Himmel und ein ziemlich gerader Weg. Jesus weiß, dass ihn dieser Weg geradewegs in den Tod führen wird. Aber der Vater im Himmel hat das so für seinen Sohn vorgesehen und dieser erfüllt den Willen des Vaters. Wolken ziehen auf, es hat auch vorher schon geregnet.
Über die folgenden Stationen werden die Wolken immer dichter: von einem kleinen Streifen am Horizont, über Schäfchenwolken bis hin zu fetten Regenwolken. Es sind Montag, Dienstag, Mittwoch der Karwoche. Es wird immer dunkler, die Licht-Lücken in den Wolken werden kleiner. An Gründonnerstag ist der Himmel verhangen. Mit Jesus ist das ähnlich, er weiß, dass sich seine Situation zuspitzt, seine Feinde sind hinter ihm her und sie werden ihn zur Strecke bringen. Die Jünger sehen da lieber die hell angestrahlten Wolkenteile. Sie feiern gemeinsam mit Jesus. Doch Jesus wird ihnen erklären, dass sich noch in der gleichen Nacht auch ihr Himmel verdunkeln wird. Einer wird ihn verraten. Keiner wird das ganze Geschehen überhaut begreifen. Dunkle Nacht, dicke Wolken.
So liegt denn auch am nächsten Tag, Karfreitag, als Jesus gekreuzigt wird die Welt, so wie sie war, für Jesu Anhänger in Scherben. Kein klares Bild mehr. Die Welt hat einen Sprung. Und trotzdem ist da blauer Himmel zu erkennen. Das ist unser Wissen. 2000 Jahre später, wissen wir, dass auf den Karfreitag ein Ostern folgte. Bis dahin jedoch ein furchtbares Durcheinander. Die Menschen waren verwirrt. Ihr Glaube an Jesus, der sie Gott näherbringen wollte, war erschüttert. Tiefe Traurigkeit und Leere.
Das Kopfschütteln und Zweifeln wird auch am Tag darauf, dem Karsamstag, nicht besser. Die Menschen sind betrübt, sie fragen sich: Soll es das gewesen sein? Warum wurde uns von Gott ein Hoffnungsträger geschickt, der dann so grausam starb? Wie ist das denn nun, was will Gott von uns? Was sollen wir „hier unten“ von dem „da oben“ erwarten? Verwirrung allenthalben. Die Welt steht Kopf. Das zeigt sich auch an dem Bild mit dem spiegelnden See. Es hängt verkehrt herum. Aber auch hier wieder: Blauer Himmel ist sichtbar, Wolken sind unterwegs, sie scheinen davon zu schweben. Wir glauben fest, dass dem Karfreitag ein Ostern folgt.
Das letzte Bild. Ein fester, starker Lichtkegel. So als würde die Sonne bald über dem Horizont aufgehen und schickte ihre Strahlen voraus. So ging es den Frauen, die zum Grab unterwegs waren in der Dämmerung des Sonntagmorgens. Dass es ihr Ostern werden wird, erfahren sie erst später, aber sie können schon ein Licht, einen Hoffnungsschimmer, wahrnehmen. Der Hoffnungsschimmer, der die dunklen Wolken vertreiben wird. Manuela Nörtershäuser