
Advent im Nasssauer Land – 23. Tür
RHEIN-LAHN. (23. Dezember 2020) Heute öffnet sich wieder ein Türchen am Adventskalender mit persönlichen Gedanken von Dekanin Renate Weigel:
Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Johannes 1, 16
Wenn ich das lese, bin ich im Psalm 26: „Du tränkst mich mit Wonne wie mit einem Strom.“ Die Fülle Gottes ist unerschöpflich. Du kannst nehmen und geben und wieder nehmen. Dich hineinlegen. Dich durchfließen und tränken lassen. Du kannst dich davon tragen lassen und auch darin einhüllen. „Bis an der Welt Ende.“ Das griechische Wort für „Gnade“ bedeutet auch „Dank“, „Ansehen“, „Anmut“, „Schönheit“. Psalm 23 kommt mir in den Sinn: „Dir wird nichts mangeln.“
Kommt das in unseren Liturgien vor, das Baden in Gnade?
Fast denke ich, es müsste regelrecht eingeübt werden. Fragt sich nur, wie.
Unsere Weihnachtslieder kennen diese Wonne: „Wonne, Wonne über Wonne, Christus ist die Gnadensonne.“ (EG 34) Dabei lassen sie auch die „tiefste Todesnacht“ (EG 37) und „Sünd und Hölle …, Tod und Teufel …“ (EG 39) nicht aus.
Weihnachten hat etwas von einem Menschen, der mitten im Weinen plötzlich zu lächeln oder zu lachen anfängt. Und das nicht, weil er verrückt spielt, sondern weil das möglich ist. Ja, weil das an Weihnachten regelrecht zusammengehört. Wer nicht „zur Nacht geweinet“, kann vielleicht auch gar nicht aus vollstem Herzen „tief einstimmen“: „Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“ (EG 16)
So will bei unseren Festlichkeiten eine Spannung ausgehalten werden: Der Schmerz wird nicht abgetrieben zugunsten einer schnellen Weihnachtsfreude. Das klappt im Übrigen eh nicht. Die Wonne der Zuwendung Gottes wird nicht begraben unter den Problemen der Welt.
Wie das gehen kann? Für mich sind die alten Advents- und Weihnachtschoräle Lehrerinnen auf dem Weg. Sie verbinden Leben und Tod mit dem Kind in der Krippe.
Dekanin Renate Weigel
